6. Oktober 2022

Ein heißer Sommer

Von nst5

„Puh, ein echt heißer Sommer.“

Ich weiß nicht, wie häufig ich das in den letzten Wochen gedacht habe.

Anlass für meine Stoßseufzer war aber nicht nur das Wetter. Ins Schwitzen kam ich auch bei Nachrichten über kirchliche Entwicklungen und die damit verbundenen Diskussionen. Es ist schwer zu verkraften, wenn immer neue Meldungen über Missbrauch und den Umgang damit ans Licht kommen. Erst recht, wenn damit vermeintliche „Lichtgestalten“ von den ihnen zugewiesenen Sockeln fallen. Und ohne Frage geht es bei vielen aktuell hitzig debattierten Fragen um sehr Grundsätzliches, wie den Schutz des Lebens. Natürlich sehe ich das berechtigte Anliegen, Gutes, Wahres und Wertvolles zu verteidigen und zu retten. Aber rechtfertigt das die Tatsache, dass der Ton derart scharf und verletzend wird? Dass der Umgang miteinander manchmal fast als unwürdig zu bezeichnen ist?

Titelfoto: (c) Orbon Alija (iStock)

Es ist eine aufwühlende Situation. Mich zerreißen die unterschiedlichen Fragen und Sichtweisen in manchen Momenten geradezu. Zu vieles ist im Umbruch. Das verunsichert. Mir hilft sehr, wenn ich mir immer wieder in Erinnerung rufe, dass es nicht in erster Linie darum geht, meine Position, meine guten Argumente, nicht einmal meine Werte zu retten. Als Christen sollte es uns bei allem vor allem um die Liebe gehen. Damit meine ich keine romantische, harmonische, beschwichtigende Atmosphäre, die Schwierigkeiten und Differenzen dadurch löst, dass sie überdeckt oder verschwiegen werden. Sondern jene innere Haltung, die Maß nimmt am Evangelium. Und das mahnt uns, sogar die Feinde zu lieben – wie viel mehr jene, die anderer Meinung sind.
Ich habe es oft erfahren: In dieser Haltung verstehe ich dann aus der Situation heraus und in Beziehung zu den Menschen, die ich vor mir habe, ob es gut ist, nachzufragen, ein Thema zu vertiefen oder es erst einmal – um der Beziehung willen – beiseite zu lassen und in einem anderen Moment wieder aufzunehmen.
„Seht, wie sie einander lieben.“ So beschreibt der antike Schriftsteller Tertullian die ersten Christen. Dabei waren auch unter ihnen sehr unterschiedliche Charaktere. Auch sie vertraten nicht immer dieselbe Meinung und mussten dennoch Antworten auf die gesellschaftlichen Fragen ihrer Zeit finden. Könnten, ja müssten sie uns nicht auch heute immer wieder neu Ansporn sein, bei all den Fragen und Herausforderungen? Welches Zeugnis wäre es, wenn man auch von uns sagen könnte: „Seht, wie sie einander lieben – obwohl sie so komplexe Fragen zu bewältigen haben!“

Herzlich Ihre

Gabi Ballweg

Was meinen Sie zu den Beiträgen in diesem Heft?
Schreiben Sie uns: Ich freue mich auf Ihre E-Mail

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2022)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München)