5. Dezember 2022

So selbstständig wie möglich

Von nst5

„Wir tragen mit „Buurtzorg“ bei, dass Pflege wieder Beziehungssache wird.”

…, sagt Wolfgang Huber. Denn Überorganisation und Bürokratisierung schaden Pflegekräften und Pflegebedürftigen.

Foto: privat

Wolfgang Huber, Mediziner und Spitalsmanager, hat 2018 das Konzept des niederländischen Pflegedienstes Buurtzorg” nach Österreich geholt. Die 2007 von Jos de Blok gegründete Organisation hat heute über 14 000 Beschäftigte und betreut rund ein Fünftel der pflegebedürftigen Menschen in den Niederlanden.
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Pflege ist ein schöner Beruf, eine Berufung! Aber Pflegekräfte geben bei uns in Österreich im Durchschnitt nach sieben Jahren auf. Als Mediziner und Manager im Gesundheitswesen hat mich das schon vor einigen Jahren irritiert: Das darf der Gesellschaft doch nicht egal sein! Hingegen hatte ich aus den Niederlanden gehört, die Pflege-Organisation Buurtzorg habe so viele Bewerber, dass sie einige sogar abweisen müsse! Also bin ich hingefahren und habe den Gründer getroffen. Sein Konzept hat mich überzeugt. Daher wollte ich es nach Österreich bringen.
Die Schwächen unseres bisherigen Systems habe ich am eigenen Leib erfahren, als ich einmal Hauspflege brauchte. Pflege ist wie ein Industrie-Unternehmen organisiert, als Fließbandarbeit: Jemand kommt vorbei, schaut sich meine Pflegebedürftigkeit an und legt fest, was in welcher Zeit zu tun ist. Dann werden Pflegekräfte geschickt, die die Aufgaben in immer gleicher Weise erfüllen müssen. Dass mein Zustand schwankte, wurde nicht berücksichtigt. Die Pflegepersonen hatten kaum Zeit, mit mir zu reden. Das ist nicht angemessen! Als Menschen brauchen wir Beziehungen. Das ist Teil der Therapie.
Als ich Pflege brauchte, wusste ich nicht, wann sie kommt und wer kommt. Immer wieder war es jemand anderes und ich musste meine Problematik neu erklären. Bei Buurtzorg kommen immer dieselben zwei Kräfte. Die kennen die Person, wissen, was sie braucht, und merken, wenn sich ihr Zustand verändert. So kann Pflege auf Beziehung und Vertrauen beruhen.
Pflegebedürftige wie -kräfte haben das Bedürfnis, möglichst selbstständig zu sein. Aber das System zwängt sie in Schubladen. Kein Wunder, dass viele Pflegekräfte nicht mehr mitmachen. Die Zahl der Pflegebedürftigen wächst. Aber ein Drittel des Personals geht in den nächsten zehn Jahren in Pension. Und kaum jemand will den Beruf noch ergreifen. Das Pflegesystem wird implodieren.

Der Ansatz von Buurtzorg kommt ohne Hierarchie aus: In Korneuburg und Wien Favoriten haben wir kleine Teams, die alles selbst entscheiden. Sie bekommen nicht ihren Plan vorgesetzt, sondern reden mit, werden gefragt; ihre Kompetenz und Erfahrung wird gewürdigt. Das motiviert.
Pflege ist auch Begleitung: die Menschen wieder aktivieren, damit sie möglichst selbstständig sein können. 25 Prozent der Haushalte in Wien bestehen aus alleinstehenden alten Menschen! Unser Pflegepersonal kümmert sich, dass die Pflegebedürftigen aus der Einsamkeit finden, bringt sie wieder in Vereine, in Gemeinschaft. Es bezieht das Umfeld ein, schaut, was die Angehörigen leisten können oder wo sie entlastet werden müssen.
Das Ergebnis: Zufriedene Gepflegte, zufriedene Pflegekräfte – Buurtzorg war in den Niederlanden schon fünfmal attraktivster Arbeitgeber. Dort hat es zudem die Kosten ambulanter Pflege um 30 Prozent gesenkt. Hier stoßen wir mit diesem Konzept auf starken Gegenwind. Das Land Niederösterreich legt uns Knüppel in den Weg: Als kleiner Betrieb haben wir keine Chance, an Fördertöpfe zu kommen. Obwohl die Situation immer dramatischer wird. Absurd!


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, November/Dezember 2022.
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