3. Februar 2023

Schutz von Bäumen nutzen

Von nst5

Offener Brief an Tony Rinaudo

Sehr geehrter Herr Rinaudo!
Sie haben es erlebt: In den heißen ländlichen Regionen Afrikas hat es katastrophale Folgen, wenn Bauern immer weniger Ernteerträge einfahren: Familien leiden Hunger, Kinder müssen arbeiten und gehen daher nicht zur Schule, Ackerbauern und Viehzüchter kämpfen um das karge Land, Menschen fliehen in die Städte oder suchen ihr Glück in Europa.
1981 gingen Sie in den Niger, um Gebiete wiederaufzuforsten, in die schon die Wüste vordrang. Wind, Hitze und Sand jedoch machten den Setzlingen den Garaus; Fördergelder und Arbeitszeit waren in den Sand gesetzt; Sie wollten das Handtuch werfen. Plötzlich eine Beobachtung: Scheinbar nutzloses Buschwerk entpuppt sich als im Boden schlummernder Rest eines Baumes, dessen Wurzelwerk tief in die Erde reicht. Eine unerwartete Chance: Lassen sich diese verborgenen Bäume nicht auch nach Jahrzehnten noch wiederbeleben?
Die Skepsis einheimischer Landwirte war groß. Die Not verleitete sie, die wachsenden Pflanzen vorschnell als Brennholz zu nutzen. Viel Überzeugungsarbeit war nötig, um Ihre Ideen mit ihnen ausprobieren und weiterentwickeln zu können: Werden die Triebe der vorhandenen Baumstümpfe auf wenige verringert und beschnitten, können sie sich innerhalb weniger Jahre zu kompletten Bäumen entwickeln. Nach einem Jahr kann einer der Triebe schon als Brennholz dienen, während der Landwirt die anderen und neue Triebe weiterpflegt. Die Bäume, die die Farmer auf ihren Feldern in entsprechenden Abständen wachsen lassen, spenden Schatten: Dazwischen gedeihen Getreide, Gemüse oder Weideland für das Vieh. Je nach Auswahl der gepflegten Baumarten dienen Blätter und Früchte als Futter. Das Laub düngt den Boden. Die Bäume bewirken, dass Insekten und Vögel zurückkehren, die Feuchtigkeit steigt, die Temperatur sinkt und zugleich Bodenerosion und Überschwemmungen stark abnehmen.
Seit vielen Jahren arbeiten Sie mit der Hilfsorganisation World Vision zusammen, veranstalten Workshops, um Ihre Methode einer von Landwirten selbst verwalteten natürlichen Regeneration (Farmer Managed Natural Regeneration) zu verbreiten: ein beachtliches Engagement! Die Dankbarkeit und Freude der Bauern ist bewegend, die dank der mit wenig Kosten umsetzbaren Hinweise wieder ein Auskommen haben, ihre Kinder zum Studieren schicken können und mit Zuversicht nach vorne sehen. Mittlerweile wird die Methode in über 25 Ländern angewandt; allein in Niger können wieder 200 Millionen Bäume wachsen und 50 000 Quadratkilometer Land bewirtschaftet werden.
Unzählige Landwirte haben Sie inspiriert, Bäume nicht als ihre Feinde, sondern als Freunde anzusehen: Sie schützen uns, also ist es sinnvoll, sie zu schützen und zu pflegen. Ihrer großen Vision sind Sie konsequent, aber auch mit Feingefühl gefolgt. Ihre Mission rettet nicht nur viele Bauernfamilien in Afrika und Asien, sondern leistet auch einen überzeugenden Beitrag für die Zukunft unseres Planeten: für den Klimaschutz, die Verminderung von Migration, ja sogar den Frieden – denn ist die Ernährung gesichert, nehmen Streit und Krieg ab.
Nicht zuletzt macht Ihre Methode auch Hoffnung für den gebeutelten Regenwald am Amazonas. Wir können uns nur wünschen, dass sie sich weiter verbreitet!

Mit freundlichen Grüßen

Clemens Behr,
Redaktion NEUE STADT

Foto: (c) Right Livelihood Award/Wolfgang Schmidt

Tony Rinaudo,
geboren am 19. Januar 1957 in Wangaratta, Australien, ist ein Agrarökonom. Er hat eine Methode entwickelt, mit der Landwirte in trockenen Regionen der Erde durch Baumbewuchs die Fruchtbarkeit des Bodens erheblich erhöhen können, und verbreitet diese Methode in zahlreichen Ländern erfolgreich. Dafür erhielt er 2018 den Right Livelihood Award, auch Alternativer Nobelpreis genannt. 2022 porträtierte Volker Schlöndorff Rinaudo in dem Dokumentarfilm „Der Waldmacher“.



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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Januar/Februar 2023.
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