4. April 2023

Uns alle auf den Weg machen

Von nst5

Isabel Staps,

25 Jahre, ist katholische Theologin und arbeitet als Pastorale Mitarbeiterin in Bistum Würzburg. Sie wohnt im Spessart und ist seit zwei Jahren mit einer Frau verheiratet. In ihrem gemeinsamen Blog www.liebeimbiergarten.de erzählen sie von ihrem Leben als queeres gläubiges Paar.


Als queere Frau bin ich nicht automatisch Repräsentantin für alle queeren Menschen. Aber ich bin Expertin für mein eigenes Leben. Darin gibt es manche Schwierigkeit, die nicht sein müsste. Deswegen habe ich eine kleine Wunschliste gemacht.
Ich wünsche mir nicht, dass es egal wird, wer welche Sexualität oder geschlechtliche Identität hat. Es soll nicht darum gehen, darüber nicht mehr reden zu müssen. Ich wünsche mir, dass es normal wird, vielfältig zu sein und dass wir fähig sind, über unsere geschlechtliche Identität, die sexuelle Orientierung und auch das Suchen danach zu sprechen. Ich wünsche mir, dass auch Heteros und Cis-Menschen über ihr „So-sein“ nachdenken und sprechen, weil auch sie „nur“ Teil der Vielfalt sind und nicht der Standard, an dem alles gemessen wird. Ich wünsche mir, dass es keine besonderen Räume braucht, in denen das geschützt möglich ist – sondern dass es überall möglich ist, weil Vielfalt selbstverständlich und nicht diskutabel ist. Ich wünsche mir, dass wir uns in der Frage nach dem positiven Umgang mit Vielfalt auf das „Wie“ konzentrieren, weil das „Ob“ keine Frage ist. Ich wünsche mir, mir nie wieder sagen lassen zu müssen, dass meine Liebe Sünde sei.
Ich wünsche mir, dass der Satzanfang „Meine Frau und ich“ kein Outing ist, bei dem ich mich fragen muss, ob das in dem Kontext angemessen ist. Ich wünsche mir, dass das einfach nur ein Satzanfang ist.
Ich wünsche mir, da wo es passt und die persönliche Verbindung oder der Rahmen es angemessen erscheinen lassen, über Sexualität, Beziehungen und geschlechtliche Identität zu sprechen. Und dass dabei niemand eine Frage stellt, die er*sie selbst unangenehm fände, beantworten zu müssen.
Und ich wünsche mir, dass wir da, wo es nicht angemessen ist, auch nicht über diese Themen sprechen. Wenn ich erzähle „Meine Frau und ich waren im Urlaub“, dann fragt mich bitte, wie mein Urlaub war. Und nicht nach meiner sexuellen Orientierung oder was meine Eltern darüber denken.
Ich wünsche mir, dass sexuelle und geschlechtliche Vielfalt selbstverständlich mit-gedacht wird, etwa bei der Planung von Angeboten oder in der Struktur der Fokolar-Bewegung. Und ich wünsche mir, dass diese Vielfalt auch mit-gesagt wird. Solange es noch nicht selbstverständlich ist, dass ein Angebot für Paare nicht nur für Heteros ist, tut es unendlich gut, sich nicht fragen zu müssen, ob man auch eingeladen ist.
Ich weiß, es ist nicht einfach, die eigene Sprache zu ändern, und oft fehlen auch noch die Worte. Es ist meiner Meinung nach vollkommen okay, dabei unsicher zu sein! Niemand ist perfekt, und es ist für alle ein Übungsprozess. Wichtig ist aber, die eigene Unsicherheit nicht als Entschuldigung zu nutzen, um sich aus dem Diskurs herauszuhalten. Sondern sie lieber als Aufforderung zu verstehen, sich zu bilden und Sprachveränderung zu üben.
Ich weiß, es ist noch ein weiter Weg, bis meine Wünsche erfüllt sind. Ich weiß auch, dass wir alle von unterschiedlichen Punkten starten. Mein allergrößter Wunsch ist deswegen, dass wir uns ALLE aufmachen und diesen Weg gehen. Jede*r im eigenen Tempo. Aber bitte, bitte, lasst uns alle in die gleiche Richtung gehen. Damit wir irgendwann ankommen. Ich bin mir sicher, wir gehen nicht allein. Denn Wege, die zu mehr Liebe und Respekt führen, sind immer auch Gottes Wege.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, März/April 2023.
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