1. August 2023

Mit Jesus wachen

Von nst5

„Nenn mich Schwätzer oder Ketzer,

aber ich frag mich oft in meinem Leben,
ist es so, dass Gebete wirklich was bewegen,
oder bleiben die Worte an der Zimmerdecke kleben
wie Spinnweben?“

So wie der Hamburger Musiker Mirco Michalzik stelle auch ich mir die Frage nach der Wirksamkeit des Betens. Besonders intensiv, wenn mich das Leben herausfordert. Als Gebet verstehe ich dabei die bewusste Ausrichtung und das Vertrauen auf Gott mit seinen verschiedenen Ausdrucksformen.
Nicht nur im persönlichen Beten, auch in der gemeinsamen Liturgie des Kirchenjahres gibt es verschiedene Formen des Bittgebetes, nicht zuletzt in den Fürbitten, die in fast jedem Gottesdienst vorkommen. Einen besonders innigen Ausdruck findet dieser Gedanke für katholische Christen wie mich am Gründonnerstag mit der Nachtwache vor dem Allerheiligsten. So wie wir in dieser Nacht mit Jesus wachen und beten, so wacht auch er mit uns, trägt und erträgt uns in unseren Schwierigkeiten. Der entscheidende Moment ist der, wenn ich mich Gott anvertraue, und nicht der, in dem meine Bitten erfüllt werden. Was hilft dabei, das Herz für Gott zu öffnen? Die kanaanäische Frau, die im Zentrum des „Wort des Lebens“ von August steht, lässt sich nicht von der Zurückweisung entmutigen; trotz des „Platzverweises“ von Jesus (!) glaubt sie fest, dass bei Gott so eine Fülle ist, dass auch für sie und ihre Tochter Leben möglich ist. Vielleicht ist am Ende dieser Begegnung nicht nur die Tochter geheilt, sondern auch die Mutter und die Jünger – und vielleicht auch Jesus.
Mir selbst helfen kleine Rituale, die meine Hoffnung physisch zum Ausdruck bringen:  ein (Oster-)Licht entzünden, um mir vor Augen zu führen, dass auf den Schrecken des Karfreitags die österliche Auferstehungsfreude folgt. Geistlicher Lieder singen oder hören: „Take this out of my hands“ von Jeremy Camp und „You say“ von Lauran Daigle, aber auch deutschsprachige Klassiker wie „Bleibet hier und wachet mit mir“ aus Taizé. Wie gut tut mir darin die Zusage Gottes, dass er auch und besonders in diesen schweren Momenten an meiner Seite ist. Und wie ermutigend, an die Komponisten und Interpreten der Lieder zu denken, wenn ich in ihr Beten miteinstimme. Oder: meinen Taufring berühren, der mich an meiner Halskette begleitet.
Diese Rituale brauchen meine persönliche Beziehung zu Gott, denn die Frage ist nicht „Wo ist Gott?“, sondern „Wo sind wir?“, „Wo bin ich?“, „Wo bist du?“, weil Gott immer an unserer Seite ist – wenn auch manchmal auf andere Weise, als wir es erwarten.
Jolanda Deister, Theologie-Studentin in Freiburg i.Br.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Juli/August 2023.
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