5. Dezember 2023

Achtung und Respekt

Von nst5

Im Boot

Seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union vor etwa 20 Jahren sind viele Menschen von dort nach Westeuropa gekommen. Die meisten von ihnen haben Arbeit gefunden. Doch längst nicht für alle ging der Wunsch nach einem besseren Leben in Erfüllung. Unter anderem gesundheitliche Probleme und Arbeitslosigkeit führten dazu, dass eine größere Zahl von Menschen aus Polen und anderen mittelosteuropäischen Ländern obdachlos wurde.
Vor allem in Großbritannien und den Niederlanden konnte hier die polnische Stiftung Barka („Boot“) helfen, die in Polen selbst schon seit 1989 mit Erfolg Obdachlosen eine Perspektive eröffnet hatte. Barka betreibt dort ein Netzwerk von Bauernhöfen und Ausbildungseinrichtungen.
Kern des Konzepts ist die Arbeit von Streetworker-Teams aus einem Sozialarbeiter und einer Person, die selbst Obdachlosigkeit erfahren hat und deshalb glaubwürdig vermitteln kann, dass ein Ausweg möglich ist. Sobald die Streetworker das Vertrauen der Obdachlosen gewonnen haben, erhalten diese ein Angebot. Diejenigen, die im jeweiligen Land bleiben wollen und in einigermaßen guter Verfassung sind, bekommen ein Coaching und können erneut auf Arbeitssuche gehen. Andere, die in ihr Heimatland zurückkehren wollen, werden an Barka-Gemeinschaften in Polen beziehungsweise Partnerorganisationen in anderen osteuropäischen Ländern vermittelt. Obdachlose Migranten werden also nicht einfach zurückgeschickt, sondern erhalten eine greifbare Perspektive in ihrem Heimatland.

Foto: © Zinkevych (iStock)

Würde
Statistiken zur Obdachlosigkeit sind mit Vorsicht zu genießen. Und doch zeigen sie, dass sie ein Thema in allen Teilen der Welt ist. Die Ursachen unterschieden sich: Armut, Flucht, Krieg, Umweltkatastrophen, Arbeitslosigkeit, psychische Krankheiten, Abhängigkeit, … Die Statistiker zählten 2023 in Deutschland 237 000 Wohnungs- oder Obdachlose; davon leben etwa 37 000 auf der Straße. In Österreich sind es 22 580 und in der Schweiz 2200 Obdachlose sowie etwa 8000 Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Was bei allen Unterschieden gleich bleibt: Jede und jeder Obdachlose ist ein Mensch mit unveräußerlicher Würde, dem Zuwendung und Hilfe zusteht. Deshalb kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, wenn es Ländern gelungen ist, die Obdachdachlosigkeit drastisch zu reduzieren. In Japan etwa ist deren Zahl von gut 25 500 im Jahr 2003 auf 3448 in diesem Jahr zurückgegangen. In Finnland von mehr als 20 000 in den 1980er-Jahren auf 3950 (2023).

Illustration: © asmakar (iStock)

Feinheiten
Obdachlos sind Menschen, die ohne Unterkunft leben oder keinen festen Wohnsitz haben.
Wohnungslos sind Menschen, die in Einrichtungen mit begrenzter Aufenthaltsdauer leben.
Ungesichertes Wohnen bedeutet, wenn jemand ohne Mietverhältnis temporär bei Freunden oder Bekannten unterkommt.
Ungenügendes Wohnen bedeutet, wenn jemand in einer notdürftigen und unkonventionellen Behausung lebt.

Quelle: Europäische Föderation nationaler Vereinigungen, die mit Obdachlosen arbeiten www.feantsa.org


Foto: © jovannig (iStock)

Orchideen
Ulla ist in Berlin. Sie hat vor ihrer Abreise keine Zeit gefunden, ihre Orchideen zu gießen. Zuviel Stress. Egal, kauft sie sich halt neue. In Berlin ist viel los. Sie genießt alles. Nun ist sie auf dem Weg zu einer tollen Party und nimmt die Abkürzung unter einer Brücke entlang. Dort liegt Klaus, der nun schon seit drei Jahren obdachlos ist. Früher war er ein erfolgreicher Geschäftsmann und gern gesehener Gast auf vielen Partys. Er liegt auf einer schmutzigen Matratze, seine Decke bis zur Nasenspitze gezogen und schläft. Am Fußende der Matratze stehen zwei wunderschön blühende Orchideen. Ulla bleibt erstaunt stehen und denkt im ersten Moment, dass dies ein unpassender Ort für diese so wunderschön blühenden Orchideen ist. Dann schaut sie näher hin und kann die Liebe spüren, mit der das Schlaflager hergerichtet ist. So als ob Klaus sagen würde: Ihr könnt mir alles nehmen, aber meine Liebe nicht. Ulla denkt an ihr schickes Zuhause und die Orchideen, die auf den nächsten Tropfen Wasser warten. Tränen treten in ihre Augen. Sie kehrt um und fährt früher als geplant zu sich nach Hause.
Flotte Feder
Quelle: www.gedichtesammlung.net

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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, November/Dezember 2023.
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