5. Dezember 2023

Wie ein Boot im Ozean

Von nst5

Cornelia Wonnebauer,

Foto: privat

58 Jahre, gebürtig aus Salzburg, lebte über 20 Jahre in den USA. 2020 kam sie zurück nach Österreich, um ihrer hier lebenden kranken Tochter (27) zur Seite zu stehen. Das Ankommen in der alten Heimat war sehr schwierig, erst recht nach eigener Krankheit und Operation. Sie landete nicht auf der Straße, aber ohne die Hilfe des „Vereins Wohnen“ in St. Pölten hätte sie es wohl nicht geschafft.


Mir war auch vor meiner Rückkehr nach Österreich klar, dass es eine Herausforderung sein würde, hier wieder Fuß zu fassen. Nie hätte ich aber gedacht, dass es so schwer sein würde. Ich habe manchmal nicht einmal verstanden, was man von mir wollte! „Amtsösterreichisch“ ist doch etwas anderes als Österreichisch. Und die Beamtenwege, die ich jetzt machen musste, waren auch ganz andere als die vor über zwanzig Jahren, noch dazu, weil ich damals selbstständig war. Wo kriege ich Geld her? Welche Papiere brauche ich? Wie komme ich an eine bezahlbare Wohnung? Meine Tochter konnte mir wegen ihrer eigenen gesundheitlichen Situation kein Gegenüber sein.
Ich kam mir vor wie ein kleines Boot im großen Ozean und war vom bürokratischen und rechtlichen System völlig überwältigt. Ich bekam Angst, war verzweifelt. Das ist aber keine gute Voraussetzung, um sich durchzukämpfen. Dabei bin ich 58 Jahre alt, habe schon einiges hinter mir und bin wohl nicht mehr ganz so leicht zu erschüttern wie jüngere Menschen, denen noch Sicherheit und Erfahrung fehlen.
Das ganze System war erschlagend, und ich wusste einfach nicht, wie ich einen Fuß in die Tür bekommen könnte. Auch weil ich durch das übliche Raster fiel: Als Österreicherin war ich keine Migrantin oder Asylbewerberin; es greifen also andere Vorgaben und Gesetze. Hinzu kam, dass durch Corona und die Flüchtlingslage vieles neu geregelt wurde. Mir war klar: Da braucht es Hilfe! So weit, so gut. Nicht ganz so leicht war es dann aber zu verstehen, wo man diese bekommen kann. Vieles ist zwar online zu finden. Aber wenn man keinen Internet-Zugang hat oder nicht genau weiß, nach welchen Stichwörtern man suchen soll, ist auch das eine große Hürde.
Dabei trifft man auch auf Vorurteile: Man sei faul, habe Probleme mit Drogen oder Alkohol. Keiner kommt auf die Idee, dass man wegen einer schweren Krankheit nicht arbeiten kann. Von alten Bekannten spürte ich auch Mitleid: „Jetzt bist du auf Almosen angewiesen. Das muss ja furchtbar sein.“
Man fühlt sich schnell einsam, auf sich gestellt. Ich kann gut verstehen, dass Menschen sich dann zurückziehen, Mauern um sich bauen und nur noch mit anderen zusammen sein wollen, die in einer ähnlichen Lage sind. Aber damit vergräbt man sich nur tiefer in der Situation – und man schwimmt schon immer sehr nah an der Grenze der Depression.
Natürlich gibt es auch Menschen, die helfen wollen, auch aus guten Motiven heraus. Viele scheinen aber leider genau zu wissen, was ihr Gegenüber braucht. Oder es kommt ein vertröstendes: „Da schauen wir mal.“ Wenn man selbst im Überlebensmodus ist, helfen keine guten Aussichten: Es geht ums Heute. Die größte Hilfe waren mir jene Menschen, die wirklich zugehört haben. Wer das nicht tut und schon mit vorgefertigten Ideen kommt, ist keine Hilfe. Als „Betroffene“ spürt man sehr schnell, wie der oder die andere einem begegnet. Und es gibt Situationen, wo man das einfach nicht an sich ranlassen kann. Nicht aus Stolz, sondern weil man so mit dem Überleben beschäftigt ist.
Wäre ich selbst nicht auf eine sehr gute Sozialarbeiterin und dann auf die tolle Unterstützung beim „Verein Wohnen“ getroffen, ich weiß nicht, wo ich gelandet wäre.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, November/Dezember 2023.
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