4. Dezember 2023

PASSIERT

Von nst5

Aus dem Leben mit dem Wort

Illustration: (c) Iuliia Bessonova (iStock)

In unserem Familienbudget hatten wir einen Betrag für Bedürftige vorgesehen. Dann mussten wir uns schweren Herzens eingestehen, dass wir das Geld wegen anderer Ausgaben nicht mehr zur Verfügung hatten. Unsere beiden Söhne hatten das mitbekommen. Sie kamen mit ihren Geldbörsen und schütteten ihre gesamten Ersparnisse vor uns auf den Tisch. Die Episode hatte ein Nachspiel, als die Großmutter zu Besuch kam und die Kinder ihr davon erzählten. Verwundert fragte sie uns: „Was? Ihr helft anderen, obwohl ihr selbst in Not seid?“ Bevor wir antworten konnten, meldete sich der Jüngste: „Aber Oma! Wir essen dreimal am Tag!“ Einige Tage später kam die Großmutter mit einem Umschlag in der Hand vorbei: „Das ist mein Beitrag. Schließlich esse auch ich dreimal am Tag!”
L.R.

Mein Vater hatte mir sein neues Auto geliehen. Als ich zum Parkplatz zurückkam, hatte es einen langen Kratzer. Mein Vater würde enttäuscht sein. Was es wohl kosten würde? Mitten in diesen Gedanken fiel mein Blick auf das Armaturenbrett. Da hatte mein Vater folgenden Satz angebracht: „Werft alle eure Sorgen auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Ich hielt inne und versuchte, mich auf Gott auszurichten. Es stellte sich eine Ruhe ein, die ich brauchte, um zu verstehen, was ich tun sollte. Da klopfte jemand ans Autofenster. Eine Dame. Sie hatte den Kratzer verursacht, war aber zunächst weggefahren. Nun war sie doch umgekehrt, wollte für den Schaden aufkommen und gab mir ihre Telefonnummer.
Z.X.

Durch sein unbedachtes, vorschnelles Verhalten hatte mich ein Freund verletzt. Sein schnell dahin gesagtes „Tut mir leid!“ konnte ich kaum annehmen. So beendete ich das Telefonat. Ich war aufgewühlt. In meinen Gedanken begann ich, diesen Freund zu verurteilen. Das zog mich immer mehr herunter. Ich wollte mich von diesen negativen Gefühlen nicht leiten lassen; aber sie waren da. In einem Stoßgebet bat ich Jesus um Hilfe. Mir fiel ein weiterer Freund ein, der mich gebeten hatte, ihn über eine Konferenz zu informieren. Um nicht in den negativen Gefühlen hängen zu bleiben, rief ich ihn an. Ein längeres, brüderliches Gespräch entwickelte sich. Als wir uns verabschiedeten, war ich deutlich ruhiger – auch beim Gedanken an den anderen Freund.
M.W.

Während des Telefonats mit einem Freund, der eine neue Arbeit angetreten hatte, spürte ich, wie schlecht es ihm ging. Er brauchte einen Bruder. So habe ich mich auf den Weg gemacht. 900 Kilometer. Als ich ankam, sah ich das alte Haus, in dem er untergekommen war. Das Dach war undicht, im Erdgeschoss Chaos. Es war eiskalt. Keine Küche, keine Spüle, keine Waschmaschine und alles dreckig. Was für ein Schock! Er war wie gelähmt. Bei einem heißen Tee begannen wir zu überlegen und zu planen. Dann ging’s ans Aufräumen. Am nächsten Tag besorgten wir Möbel für sein Arbeits- und sein Schlafzimmer. Nach zwei Tagen war viel geschehen. Als ich wieder aufbrach, hatte er Tränen in den Augen: „Danke, dass du gekommen bist! Jetzt fühle ich mich ein wenig wohler hier und weiß auch schon die nächsten Schritte, die ich machen will.“
M.W.

Im Seniorenzentrum, in dem ich als Seelsorgerin arbeite, hatte ein Mann einen Schlaganfall und war ins Krankenhaus eingeliefert worden. Nach wenigen Stunden verstarb er. Seine Frau war völlig halt- und fassungslos. Ich verbrachte viel Zeit bei ihr. Abends schaute ich nochmals vorbei und saß dann mit einer weiteren Mitarbeiterin an ihrem Bett. „Dürfen wir noch mit Ihnen beten?“, fragten wir. Gern willigte sie ein und schlug selbst Psalm 90 vor, in dem die Härte des Lebens und des Todes zum Klingen kommt. Vers für Vers beteten wir dieses uralte Gebet. Es war ein tiefer, ehrlicher Augenblick; die Zeit schien stillzustehen.
I.S.

„Einander in herzlicher und geschwisterlicher Liebe zugetan sein“, bedeutete für mich, allen gegenüber offen zu sein. Franziska, eine junge Studentin, die immer wieder bei uns ist, macht gerne Spaß, also mache ich mit. Gerade will ich ein paar Minuten an die frische Luft, da kommt ein alter Bekannter und erzählt, erzählt. Ich höre zu – bedingungslos. Zum vierten oder fünften Mal ruft eine Frau an, die allein lebt und sich einfach nur unterhalten will. Klara, ein zwölfjähriges Mädchen, möchte in Latein regelmäßig Nachhilfe haben. In diesen und vielen anderen Situationen heißt es, das, woran ich gerade bin, zur Seite zu legen, um mich ganz neu auf diesen Augenblick einzulassen.
R.B.

Beim Socialday in Wien besuchten wir auch ein Seniorenheim. Eine Dame wurde im Rollstuhl hereingeschoben. Ich grüßte sie, doch ihr Blick ging durch mich hindurch ins Leere. Regungslos verfolgte sie die Lieder, das Ratespiel und die Geschichten. Dann ging es zu den Brettspielen. Wir haben sie eingeladen, mit Marianne aus Madagaskar „Mensch ärgere dich nicht“ zu spielen. Sie schien nicht abgeneigt, konnte sich anfänglich aber nicht mehr erinnern, wie das Würfeln ging. Auch Marianne hatte dieses Spiel noch nie gespielt, aber mit etwas Unterstützung setzte sie die Kegel an die richtige Stelle. Als die Dame den Becher in die Hand bekam, würfelte sie: ein Sechser. Wir staunten nicht schlecht, als sie ihren gelben Kegel sechs Felder vorschob und Schritt für Schritt mit Marianne weiterspielte. Am Ende saß sie entspannt und zufrieden vor uns.
K.O.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, November/Dezember 2023.
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