5. Februar 2024

Realität zeigen, wie sie ist

Von nst5

Offener Brief an Frau Katrin Eigendorf


Sehr geehrte Frau Eigendorf!

Unsere Gesellschaft diskutiert heftig und kontrovers über die Rolle der Medien und über die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten. In den nicht zuletzt durch Internet und soziale Medien tobenden Informationsfluten fühlen sich viele Menschen verunsichert und wissen nicht mehr, wem sie trauen können. Je komplexer die Zusammenhänge, umso größer die Hilflosigkeit und oft auch das Misstrauen. Das gilt umso mehr in Kriegs- und Krisenzusammenhängen, die wir lieber gar nicht sehen wollen. Das ist menschlich, sagen Sie. Aber auch: „Wir fügen uns selber extremen Schaden zu, wenn wir nicht endlich hinschauen.“
Aus dieser Überzeugung berichten Sie seit Jahren als Kriegsreporterin aus Afghanistan, der Ukraine und jetzt aus Israel. In einer Zeit der Desinformation wollen Sie als „professionelle Augenzeugin“ die Wahrheit in die Welt tragen. Danach befragt, ob es nicht sehr viel Mut erfordere, in diese Regionen zu gehen, antworteten Sie: „Der wirkliche Mut besteht darin, die Realität so zu zeigen und so zu erzählen, wie sie ist, und dafür klar Position zu beziehen.“
In der Krisen- und Kriegsberichterstattung geht es um Waffen und militärische Strategien. Aber es geht auch um das Schicksal von Menschen. Um die Suche nach Hoffnungszeichen für ein Ende der Grausamkeit, die nicht von naivem Zweckoptimismus getragen ist, sondern von Sachverstand und Erfahrung. Und von Menschlichkeit. Deshalb haben Sie, wie Ihr früherer Kollege Claus Kleber es einmal formulierte, „der Geschichte viele Male ins grausame Gesicht gesehen“.
Das tun Sie, weil es Ihnen ein innerer Auftrag ist und Sie überzeugt sind, dass es „das Bitterste“ für Menschen ist, wenn sie mit ihrem Leben für etwas einstehen und nicht gehört werden. Als Frau richten Sie Ihren und unseren Blick dabei oft auch auf die Lage von Frauen. Denn: Wie entwickelt eine Gesellschaft sei, zeige sich auch daran, wie sie mit Frauen umgehe. Für Sie ist das Teil eines „Journalismus mit Haltung“, der Ihnen wichtig ist. Dabei sind Sie sich durchaus bewusst, dass Sie Teil des Geschehens sind, und machen das auch transparent.
Ihre Klarheit, Haltung und die Empathie für Menschen wird in Ihren Kommentaren und Reportagen spürbar – das bezeugen auch die zahlreichen Auszeichnungen, die Sie in den letzten Jahren für Ihre und die Arbeit Ihres Teams erhalten haben: „Sie gibt denen eine Stimme, die sonst nicht gehört werden, schaut da hin, wo andere wegsehen, macht komplexe Probleme verständlich – kurz, sie hat all das, was eine außergewöhnliche Reporterin braucht. Im Dauereinsatz in Afghanistan war es oft ihre klare Analyse, die das wahre Ausmaß des Desasters erst richtig verdeutlichte. Und sie blieb auch dran, als die internationale Reporterherde längst weitergezogen war“ (Begründung zur Wahl Journalistin des Jahres 2022).
Wenn man bedenkt, wie wichtig unabhängige Berichterstattung für eine demokratische Gesellschaft ist, können wir uns nur wünschen, dass Sie Ihren Job noch lange machen und uns helfen, die Welt und die Realität so anzuschauen, wie sie sind – damit wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass sie besser, zukunftsfähiger und gerechter wird.

Mit freundlichen Grüßen
Gabi Ballweg, Redaktion NEUE STADT

Foto: © Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

Katrin Eigendorf
Jahrgang 1962, ist eine deutsche Fernsehjournalistin und Kriegsberichterstatterin. Nach verschiedenen Stationen als Reporterin und Korrespondentin arbeitet sie seit 1999 für das ZDF und berichtete aus Afghanistan und der Ukraine. Seit Oktober 2023 ist Katrin Eigendorf Internationale Sonderkorrespondentin des Senders. Ihr erster Einsatz führte sie nach Israel. Für ihre Arbeit erhielt sie unter anderem den Hanns-Joachim-Friedrich-Preis, den Grimme-Preis, den Deutschen Fernsehpreis, den Werner-Holzer-Preis und den Augsburger Friedenspreis. 2022 wurde sie als „Journalistin des Jahres“ geehrt.





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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Januar/Februar 2024.
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