3. April 2024

Was mich selbst berührt hat

Von nst5

Gott bezeugt sich selbst.

Wir können zeigen, dass der Glaube das Leben erfüllt und einen Schlüssel für dessen schmerzhafte Seiten bietet. Welche Wirkung unser Zeugnis hat, das aber sollten wir Gott überlassen.

Herr Hennecke, viele Menschen erwarten nichts mehr von der Kirche, aber auch nicht von Gott. Wie soll man Gott in einer solchen Situation bezeugen?
Ganz ehrlich: „Gott bezeugen“ klingt mir ein wenig zu aktivistisch. Als müssten wir etwas machen. Das ist aber eher nicht so. Gott bezeugt sich selbst Er ist da souverän genug.

Er bezeugt sich selbst, aber doch nicht ohne uns, oder?
Das stimmt natürlich. Wir geben ja immer Zeugnis von etwas ab – von unserer Unruhe oder unserem inneren Frieden; von Liebe, Gastfreundschaft oder Freundlichkeit. Wir können gar nicht nicht Zeugnis geben. Aber wie diese Beispiele schon zeigen, geschieht unserer Zeugnis nicht vor allem durch Worte.

Sondern?
Das Erste, was andere Menschen berührt, ist das, was wir ausstrahlen; das alltägliche Zeugnis. Und zwar unabhängig davon, ob sie etwas von Gott erwarten oder nicht. Für ein Zeugnis reicht es nicht, wenn wir nur Informationen weitergeben. Von Madeleine Delbrêl stammt die Bemerkung: „Wenn Menschen die Frohe Botschaft von A bis Z gehört haben, ohne wenigstens einmal mit der Güte Jesu geliebt worden zu sein, sind sie nicht wirklich mit dem Evangelium in Kontakt gekommen.“ Das trifft es ziemlich gut.

Wenn wir ehrlich sind, bringt aber auch das Lebenszeugnis nicht die erwarteten Früchte!
Das sehe ich nicht so. Wo deutlich wird, dass der Glaube das Leben schön macht und erfüllt, das Herz jubeln lässt – und auch einen Schlüssel für die dunklen und schmerzhaften Seiten des Lebens bietet –, da passiert etwas im Gegenüber. Ob dieser Mensch dann Gott erkennt oder nicht, das haben wir nicht in der Hand. Das ist zum Glück unverfügbar. Sonst hätten wir ja Macht über die Herzen und Seelen der Menschen. Welche Wirkung unser Zeugnis hat, das sollten wir getrost Gott überlassen.

Und doch ist es menschlich, auf die Erfolge des eigenen Bemühens zu schauen. Da gibt es viel Enttäuschung. Mir geht es jedenfalls so.
Dahinter steckt die Frage nach der Wirksamkeit des eigenen Tuns. Auch ich erlebe da eine große Not – gerade bei Eltern, die feststellen müssen, dass sie ihren Kindern den Glauben nicht haben weitergeben können. Das ist mit viel Schmerz und auch Selbstzweifeln verbunden.
Ich möchte diesen Schmerz nicht kleinreden. Und doch gilt auch hier: Wenn Eltern aus ihrem Glauben heraus leben, werden ihre Kinder immer davon geprägt sein – egal, welchen Weg sie gehen. Und sie können gewiss sein, dass die Kinder auf ihrem Weg genauso von der Liebe Gottes begleitet sind, wie sie selbst es erfahren.
Und schließlich: Der liebende Gott bleibt dran bei jedem und jeder und wählt den richtigen Augenblick, sich anzunähern. Das zeigt etwa die Geschichte von Samuel im Alten Testament. Wenn er jemanden ruft, dann tut er es so lange, bis derjenige es versteht – gegebenenfalls mit der Hilfe von Menschen. Aber wer ruft, ist immer Gott selbst. Das kann uns gelassen und auch demütig machen.

Nun gibt es aber die Aufforderung Jesu, alle Menschen mit dem Evangelium bekanntzumachen. Nehmen wir die dann auf die leichte Schulter?
Sie meinen den sogenannten Missionsbefehl Jesu: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Markus 16,15). Dieses Wort hat Jesus nicht als abstrakte Aufforderung formuliert, sondern an Menschen gerichtet, die ihn erlebt hatten und voller Freude darüber waren.
Ja, Jesus hat die Apostel aufgefordert, das Evangelium zu verkünden; aber sie hätten es sowieso getan. Es gibt ein „inneres Muss“, eine innere Sehnsucht und Leidenschaft, das weiterzugeben, was meinem Leben Fülle gibt. Das kann niemand an meiner Stelle tun, aber dazu muss mich auch niemand drängen.

Das gilt für die persönliche Ebene. Was aber ist mit der Institution Kirche?
Selbstverständlich haben auch die Kirchen die Aufgabe, immer wieder neu Christus zu verkünden. Und sie tun es ja auch. Allerdings sollten sie dies mit einem radikalen Desinteresse am Erhalt der Institution tun! Das gilt übrigens auch für die Gemeinschaften und Verbände in den Kirchen. Es geht nicht um die Kirche. Es geht auch nicht um die Fokolar-Bewegung. Es geht um Gott! Es geht um die Erfahrung seines Reiches. Deshalb verbietet sich jede Rekrutierung von Mitgliedern, um die Institution zu erhalten. Die Kirche ist ja zuerst eine Gemeinschaft von Menschen, die von Gott selbst gerufen, gesammelt und gesandt worden sind.

Müssen wir uns damit abfinden, dass es – zumindest in Europa – immer weniger Christen gibt?
Ja. Das dürfte keine Überraschung mehr sein. Es zeichnet sich seit Jahrzehnten ab und erfährt aus verschiedenen Gründen gerade eine Beschleunigung.

Eine ernüchternde Erkenntnis!
Ja und nein. Es ist sicher nicht leicht, Organisationen und Institutionen, die Heimat geben, dahinschmelzen zu sehen.
Andererseits gilt: Wo echtes Leben ist, da ist auch Wachstum. Es muss ja nicht immer zahlenmäßiges Wachstum sein. Wie vielen beeindruckenden Menschen jeden Alters begegne ich, die leidenschaftlich aus ihrem Glauben leben; die Liebenswürdigkeit ausstrahlen; die den Menschen dienen. Vielleicht müssen wir lernen, dieses Wachstum zu sehen.

Kann ein Erleben von Gemeinschaft helfen, Gott zu begegnen?
Unbedingt. Gott ruft zwar jeden Menschen einzeln, ist aber in einem Raum gelebter Beziehungen häufig leichter „erkennbar“. Jeder Christin und jedem Christen werden zahlreiche Menschen einfallen, die sie oder ihn auf dem eigenen Weg begleitet haben.
„Jesus in der Mitte“ – seine erfahrbare Gegenwart unter uns – ist der große Schatz des Christentums. Er hat ja zugesagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Matthäus 18,20). Eine von der gegenseitigen Liebe geprägte Atmosphäre wirkt anziehend. Sicher wird nicht jeder sofort die Gegenwart Gottes entdecken; doch diese Atmosphäre wird man immer wieder suchen. Und wenn jemand „erst“ mit 60 oder 70 Jahren Gott für ihn spürbar begegnet, ist es ja nicht zu spät.

Was erleichtert es denn, Gott zu erkennen?
Kürzlich wurde in Deutschland eine Studie zur Kirchenmitgliedschaft veröffentlicht. Dort zeigte sich, dass die Menschen von den Christen und der Kirche nicht das Heilige, sondern das Soziale erwarten.
Und vielleicht treffen sie damit ja auch den Kern unseres Christseins. Schließlich ist Gott Mensch geworden. Christsein zeigt sich nicht zunächst in einer spirituellen Form, in einem kirchlichen Gebäude. Wichtiger ist die Erfahrung, dass Gemeinschaft gelingt, dass Menschen erfahren, dass sie gesehen, gewürdigt und geliebt werden; dass ihnen gedient wird.

Chiara Lubich, die Gründerin der Fokolar-Bewegung, sprach immer wieder davon, dass es die erste Aufgabe der Christen sei, „sich selbst zu evangelisieren“. Ist genau das gefragt?
Das glaube ich schon. Bevor wir uns darüber den Kopf zerbrechen, wie wir andere Menschen vom Evangelium begeistern, geht es darum, wie wir uns selbst – als Einzelne und Gemeinschaft – immer wieder vom Evangelium, von seiner Gegenwart in uns und zwischen uns treffen lassen – wie wir selbst von der Liebe Gottes berührt werden. Das allein gibt unserem Glauben Überzeugung und Leidenschaft und macht unser Leben schön und reich an Beziehungen. In ihm finden wir auch Heilung für die Wunden, die das Leben – auch das Leben in der Kirche – geschlagen hat.
Letztlich kann ich nur das weitergeben, was mich selbst berührt hat.

Dazu passt das Motto der Fokolar-Bewegung in diesem Jahr: „Gerufen und gesandt“, oder?
In dieser Reihenfolge! Gott ruft uns. Wenn wir unsere Beziehungen miteinander und die Beziehung zu ihm lebendig gestalten und mit Einfachheit in unserem privaten oder beruflichen Umfeld leben, dann kommt vielleicht der Moment, wo jemand sagt: „Du strahlst etwas aus.“ Dann können wir auch reden.

Vielen Dank für das Gespräch!
Peter Forst.

Christian Hennecke. – Foto: privat

Christian Hennecke
geboren 1961, ist leidenschaftlich auf der Suche danach, wie sich die Kirche entwickeln könnte. Und trifft dabei auf bemerkenswerte Menschen und Initiativen. Der promovierte Theologe ist seit 2015 Leiter des Bereichs Sendung im Bistum Hildesheim. Acht Jahre lang war er für die Priesterausbildung seines Bistums verantwortlich. Nach dem Studium der katholischen Theologie in Münster und Rom war er einige Jahre Kaplan und Pfarrer in Gemeinden in Norddeutschland. Christian Hennecke ist Autor zahlreicher Bücher.





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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, März/April 2024.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München.
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