Friede braucht ein Umdenken
Pasquale Ferrara
Pasquale Ferrara ist seit Mai 2021 Generaldirektor für politische Angelegenheiten und internationale Sicherheit im italienischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit. Sein Weg im diplomatischen Dienst führte ihn unter anderem nach Chile, Griechenland, Algerien, Brüssel und Washington. Seit vielen Jahren verbindet er seinen beruflichen Hintergrund als Diplomat mit akademischen Aktivitäten und Forschungen zur Theorie der internationalen Beziehungen.
Wenn man in internationalen Beziehungen über Religionen spricht, betrachtet man sie oft als Elemente, die Konflikte zwar nicht schüren, sie aber verschärfen. Das ist eine voreingenommene Sichtweise. Denn Religionskriege waren fast immer auch Kriege um Macht, um Öl oder Interessen. Dennoch gibt es auch heute „politische Unternehmer“, die Religion für ihre Zwecke instrumentalisieren. Daher müssen Religionen und Gläubige darauf achten, dass sie nicht für nationalistische oder parteipolitische Zwecke „rekrutiert“ werden.
Dennoch können Religionen, wenn sie ihre universelle und integrative Perspektive behalten, eine grundlegende Aufgabe bei Konfliktprävention und Versöhnung haben. In der Weltpolitik geht es immer noch vorrangig um Nationalstaaten und Grenzen, während alles andere „transnational“, grenzübergreifend ist; Klimawandel, Migration, Ernährungssicherheit … betreffen die Menschheit als Ganzes. Hier braucht es ein kritisches Gewissen; Religionen können sich an die Politik wenden und auf Prioritäten hinweisen. Sie haben dabei „prophetische“ Funktion: In dieser Welt, die sich so sehr auf Probleme der Gegenwart, auf materielle Fragen konzentriert, braucht es eine konstruktive, neue, kreative Vorstellung von der Zukunft unseres Planeten.
Denn in internationalen Beziehungen gibt es alte „Mythen“, Vorstellungen aus der Vergangenheit, die die Gegenwart nach wie vor bestimmen. Einer lautet: Krieg ist nichts anderes als die Fortsetzung der Politik mit gewaltsamen Mitteln. Nein, Krieg ist die Ablehnung von Politik, Diplomatie, Dialog! Ein weiterer: Es gibt lokale Kriege. Nein, alle Kriege sind weltweit; sie verletzen die gesamte Menschheit!
Dann die Globalisierung. Man hat uns gesagt, dass wir global denken und lokal handeln müssen. Ich glaube, dass Religionen eine ganz andere Erfahrung gemacht haben: Wenn wir lokal denken, um konkrete Probleme zu lösen, haben wir klarere Vorstellungen, wie wir global handeln können. Staaten sind wichtig, aber sie müssen lokale Akteure des globalen Gemeinwohls sein. Es braucht einen Mentalitätswandel. Von der Idee einer internationalen Politik hin zu einer „planetarischen“ Politik. Der Planet braucht unsere Aufmerksamkeit. Von einer Art globaler Kriegsführung hin zum globalen Wohlergehen, zum Wohlergehen aller. Von der Idee der internationalen Sicherheit – der Sicherheit der Grenzen, die wichtig ist – zum Konzept menschlicher Sicherheit, jener der Menschen und Völker.
Was können wir als Glaubende in einem so komplexen Kontext tun? Auf der Ebene der Weltpolitik hat man erkannt, dass Kooperationsprozesse zwischen Staaten wichtig sind, ebenso wie die Rolle der multilateralen Institutionen, aber das Geheimnis der Universalität liegt in der Nähe. Wo Menschen einander nahe sind, reifen Ideen und Optionen heran, die manchmal entscheidend werden können.
Diese Perspektive wird jedoch durch ein zweites Element ergänzt: das Bewusstsein, dass es zwar keinen Frieden ohne Gerechtigkeit gibt, aber auch keinen Frieden ohne Politik. In der Praxis bedeutet dies, dass es keinen Frieden ohne gemeinsame Institutionen und ohne die Einhaltung gemeinsamer Regeln gibt. Sonst verfallen wir in eine Politik der reinen Gewalt und der Eroberung, wie wir sie heute leider wieder erleben.
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Mai/Juni 2025.
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