2. Juni 2025

Über das Gehörte staunen

Von nst5

Seit mehr als 20 Jahren übt sich das Hamburger Kammer-Ensemble UNI-SUONO

in der Kunst des Miteinanders in der Musik. Das beginnt im Zusammenleben der neun Musikerinnen und Musiker.

Alle Fotos: (c) Hubert Schulze Hobeling

Ein Samstagvormittag im März. Die Sonne über Hamburg. Sieben Musikerinnen und Musiker spielen sich ein. Der Probenraum ist ein Wohnzimmer. Auf den Notenständern liegen die Stimmen zu Mozarts „Grand Quintetto“, arrangiert von Christian Friedrich Gottlieb Schwencke. Ein Klavier braucht es dazu, eine Flöte und fünf Streichinstrumente. Der Cellist hat mich eingeladen. Christian Kewitsch ist einer der Mitbegründer dieses Kammer-Ensembles.
Flötist Thomas Franz gibt noch schnell einen flotten Spruch aus der ZDF-heute-show vom Vorabend zum Besten. Dann kehrt Ruhe ein.

Ein Impuls zum Start. Ein Moment zum Innehalten. Christian Kewitsch liest einen Text, der ihm viel zu bedeuten scheint. Es sind Gedanken von Chiara Lubich, der Gründerin der Fokolar-Bewegung, zur Nächstenliebe. Gedanken wie dieser: „Der Nächste ist ein anderes Du selbst.“
„Grand Quintetto“ könnte mir bekannt vorkommen, meint Thomas Hamborg an der Violine noch, bevor die ersten Töne erklingen. Unter den Anfangsszenen des Films „Amadeus“ lägen genau diese Klänge.

Spaßvogel Thomas Franz mit und ohne Querflöte zu erleben, das sind zwei Welten. Nimmt er sein Instrument zur Hand, entschwebt er in andere Sphären. Noten sind wie eine eigene Sprache, ihm vertraut, mir fremd. Er und seine Flöte gehen in manchen Momenten eine ganz eigene Verbindung ein. Bei den anderem erscheint mir das ebenso. Und es wirkt.

Immer wieder Pausen. Sprechen und Antworten und Staunen über das, was ich da höre: „Ihr müsst euch einig sein, ob ihr von unten oder oben trillert.“ – „Die erste Triole kommt zu spät.“ – „Von Takt 14 bis 15 klingt unsere Antwort auf eure Figur nicht harmonisch. Da ist es besser, wenn wir da eine kurze Pause machen.“ – „Wenn wir im Trio etwas Tempo rausnehmen, ist das für mich okay. Im Menuett könnten wir wieder zulegen. Aber das schaffen wir nicht.“ – „Mach‘ du bitte in Takt 13 auf dem letzten Viertel einen Punkt.“

Am Vorabend treffe ich Heinz Wezel zum Abendessen. Er ist mit dem Zug aus Berlin angereist. Der 83-jährige bekennende Christ war von 1972 an über drei Jahrzehnte Mitglied des Berliner Sinfonie-Orchesters – damals das Staatsorchester der DDR, mit dem er die ganze Welt kennenlernte. Bis heute für ihn unvergessen ist die sechswöchige Reise durch Japan aus Anlass der 25-jährigen Staatsgründung der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1974. Sein Instrument ist die „Viola da braccio“, die „Arm-Geige“ – daher der heutige Name Bratsche.
Heinz Wezel ist Berufsmusiker durch und durch. Als Ruheständler genießt er es, zu den Proben in die Hansestadt zu reisen, weil „die Haltung, in der wir miteinander Musik machen, einfach außergewöhnlich ist“. Dabei hatte er einen entscheidenden Anteil am Entstehen des Ensembles.

Piano: Pavlina Hillenbrand-Jovanovska. – Foto: (c) Hubert Schulze Hobeling

Es war ein Tag im November 1999. Der italienische Konzertpianist Paolo Vegari hat sich gemeinsam mit Christian Kewitsch von Florenz aus auf den Weg zu ihm nach Berlin gemacht. Der Treffpunkt: die S-Bahn-Station Friedrichshagen im Südosten der Hauptstadt. Heinz Wezel holte die beiden mit seinem Trabi ab und lud sie in sein Zuhause in Schöneiche ein. „Ich wusste bis dahin gar nicht, dass es andere Berufsmusiker in der Fokolar-Bewegung gibt.“
Dort haben alle drei ihre spirituellen Wurzeln und teilen ihre Leidenschaft für die klassische Musik. Sie träumten davon, irgendwann einmal gemeinsam zu musizieren, ein Gedanke, der drei Jahre später Wirklichkeit wurde, als Christian Kewitsch nach Hamburg zog und das Kammer-Ensemble „UNI-SUONO“ entstehen konnte – jetzt, da es auch einen Cellisten gab.

Kurz nach 12 Uhr. Durch die Tür zum Probenraum tritt ein freundlicher Riese ein mit dem größten schwarzen Rucksack bepackt, den ich bisher gesehen habe. Jürgen Schulze hat seinen Kontrabass dabei und einen runden Barhocker mit einem maßgeschneiderten Kissen mit hell- und dunkelgrauen Punkten drauf. Beim „Divertimento“ für Flöte, zwei Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass von Friedrich Gernsheim ist Jürgen Schulze in seinem Element. Er zupft die mächtigen Saiten so behutsam, als poliere er eine Jahrhunderte alte Vase aus der Ming-Dynastie. „Es hat lange gedauert“, erzählt er in einer Pause, „bis ich verstanden habe, dass nicht ich als Musiker im Vordergrund stehe, sondern der Komponist.“ Der Mann am Kontrabass ist ein Neuzugang. Eines Abends ging er spazieren. „Da sah ich auf einmal drei Leute mit Instrumenten aus der Kirche kommen. Ich habe sie spontan angesprochen und gefragt, ob sie auch einen Kontrabass hätten.“ Hatten sie nicht.
„Was dieses Ensemble ausmacht, ist, dass jede und jeder sich in die Musik, in das Thema einbringen kann“, so der Musiker, der einst mit dem E-Bass begonnen hatte und über den Jazz zur Klassik kam. „Jeder Gedanke wird aufgenommen, und es wird daran gearbeitet.“ Das hat von Anfang an gut funktioniert.

Wer gibt den Takt an? „Das Instrument, das als erstes einsetzt“, erläutert mir Thomas Hamborg, Musiklehrer am Gymnasium Bornbrook in Hamburg-Bergedorf. „Wenn man eine Vorstellung von dem Stück, der Melodie und den Rhythmen hat, atmet man richtig und hat das Tempo.“
Thomas Franz, Flötist, Instrumentallehrer und Ensembleleiter an verschiedenen Musikschulen in Hamburg, ist von Anfang an dabei. Bei ihrer ersten Auslands-Tour 2004 nach Italien waren sie gemeinsam in einem VW-Bulli zu Konzerten in der Toskana unterwegs. „Da hat es auch mal richtig geknallt.“ Die einen wollten die Gegend erkunden, die anderen lieber im Ferienhaus in den Weinbergen bleiben. Ein paar dumme Bemerkungen und schon war Spannung da. „Die Luft war giftig“, erinnert sich Thomas Franz, als wäre es vor Kurzem passiert.

„Da reicht es nicht, sich unserer gemeinsamen Basis als Christen bewusst zu werden“, sagt Pianistin KwangSil Choi-Franz. „Da geht es darum, echte kleine Schritte aufeinander zuzumachen, zuzuhören, sich zu entschuldigen oder auch eine Entschuldigung anzunehmen.“ – „Und die Frage stellte sich, warum wir eigentlich zusammengekommen sind“, ergänzt Thomas Franz. „Da gab es doch mal Jesus. Mit seinen Jüngern war das auch nicht immer easy.“ KwangSil Choi-Franz fand in den Tagen in der Toskana ihre Antwort in der Bibel. „Ich hatte im Epheser-Brief gelesen, ihr seid eins, ihr seid Geschwister. Da war mir klar: Ich bleibe.“

Auch Thomas Hamborg machte weiter. „Wir versuchen, eine gemeinsame Klangvorstellung zu entwickeln. Wenn jemand aus der Reihe tanzt, gibt das Anlass für Diskussionen.“ Die Musik und das Ego. Für Christian Kewitsch hat das mit dem Ego zwei Seiten. „Zuweilen ist es deutlich herausfordernder, sich nicht bequem zurückzulegen, sondern sich zu exponieren“, meint der Leiter des größten Hamburger Schulorchesters. „Mein Wunsch ist, dass ich mich dabei als Geschenk einbringe.“
„Es geht um Gefühle, um Wahrnehmung, wie empfinde ich etwas“, so Christian Kewitsch. „Du bist für mich zu laut, du bist zu leise. Mich da nicht zu verkriechen, sondern mich dem immer wieder auszusetzen, das bringt uns voran.“
Hubert Schulze Hobeling

Kammermusik
UNI-SUONO, das sind Pavlina Hillenbrand-Jovanovska und KwangSil Choi-Franz (Klavier), Ursula Kurz und Thomas Hamborg (Violine), Wolfram Hillenbrand (Violine/Viola), Heinz Wezel (Viola), Christian Kewitsch (Cello), Jürgen Schulze (Kontrabass) und Thomas Franz (Querflöte). Das Hamburger Kammer-Ensemble wurde im Herbst 2003 gegründet. Grundlage ihrer musikalischen Zusammenarbeit ist ihr lebendiges christliches Leben. Viele verbindet zudem die Spiritualität der Fokolar-Bewegung. Darin gründet ihre Überzeugung, mit ihrer Musik einen kreativen und aktuellen Beitrag zu einem Miteinander in Offenheit und Toleranz zu geben. Auftritte bisher unter anderem im Raum Hamburg, in Bremen, Stuttgart („Miteinander für Europa“), Loppiano bei Florenz sowie im Aachener Dom und in Istanbul anlässlich der Verleihung des Klaus-Hemmerle-Preises.

www.uni-suono.de


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Mai/Juni 2025.
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