2. Juni 2025

Menschen mit einer Geschichte

Von nst5

Immer mehr Menschen nehmen für die häusliche Pflege eine 24-Stunden-Hilfe

in Anspruch. Meist stammt sie aus einem osteuropäischen Land. Worauf ist zu achten, dass es für beide Seiten eine positive Erfahrung werden kann?

Cornelia Haselberger
Gesundheitsorientierte Familienberaterin, Augsburg
In ihrer letzten Lebensphase wurden meine Eltern fünf Jahre lang von 24-Stunden-Pflegekräften betreut. Grundvoraussetzung für die Frauen aus Polen war neben einem separaten Bad und Fernsehanschluss auch ein gut funktionierendes WLAN. Die Entscheidung, eine Pflegekraft einzustellen, war für meine Eltern schwer. Die erste Erfahrung über eine Agentur ging leider gründlich daneben. Die Sprache stellte sich als echtes Hindernis heraus; meine Eltern fühlten sich nicht verstanden und bevormundet. Schließlich fanden wir über eine persönliche Empfehlung eine polnische Frau mit guten Deutsch- und Kochkenntnissen, die von uns allen schnell ins Herz geschlossen wurde. Alle sechs bis acht Wochen wechselten die Pflegekräfte, was anfangs schwierig war, aber durch gute Übergaben erleichtert wurde. Die Frauen suchten sich ihre Leute selbst aus, mit denen sie im Wechsel zusammenarbeiten wollten. Das war für uns eine große Hilfe.
Mit zunehmendem Alter der Eltern wurde die Pflege intensiver, und wir sechs Geschwister kamen im Wechsel jeden Nachmittag, um der Pflegerin Freiraum zu verschaffen. Das half auch meinen Eltern, sich nicht verlassen zu fühlen und die Pflegesituation anzunehmen. Wir sprachen viel mit den Pflegerinnen und bezogen sie in unser persönliches Leben mit ein. Es entwickelten sich vertrauensvolle Beziehungen, die bis zum heutigen Tag lebendig sind.

Robert Lippert
stellv. Pflegedirektor, Hirrlingen
Der Einsatz osteuropäischer Pflegekräfte in der 24-Stunden-Betreuung bringt sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich. Die Sprachkenntnisse der Pflegekräfte sind entscheidend für die Beziehungsqualität. Eine gute Kommunikation fördert das Vertrauen und ermöglicht es, die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen besser zu verstehen. Missverständnisse können die Pflegequalität beeinträchtigen und zu Frustration führen.
Die Anspruchshaltung der Auftraggeber ist oft hoch. Sie erwarten nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch ständige Verfügbarkeit. Diese Erwartungen stehen jedoch im Konflikt mit den arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen, die Pausen und eine angemessene Work-Life-Balance für die Pflegekräfte sicherstellen sollen. Es ist wichtig, dass Auftraggeber die rechtlichen Vorgaben respektieren und die Pflegekräfte nicht überlasten.
Zudem sollten Pflegekräfte nicht nur als „die Polin“ oder „der Rumäne“ betrachtet werden, sondern als einzelne Menschen mit eigenen Geschichten und Bedürfnissen. Eine wertschätzende Haltung fördert nicht nur die Zufriedenheit der Pflegekräfte, sondern auch die Qualität der Pflege. Indem wir die Menschlichkeit in den Vordergrund stellen, schaffen wir ein respektvolles Miteinander, das für alle Beteiligten von Vorteil ist.

Clemens Metzmacher
Psychotherapeut und Supervisor, Dresden (D) und Unterengadin (CH)
Häusliche 24-Stunden-Pflege ist attraktiv, wenn die Versorgung allein nicht mehr möglich ist: Das vertraute Umfeld bleibt erhalten, und sie verspricht eine Versorgung in Würde mit wenig institutioneller Fremdbestimmung.
Gerade deshalb lohnt ein Blick auf mögliche Tücken. Neben der Frage nach Ausbeutungsverhältnissen für die Pflegenden ist eine große Nähe und gegenseitige Abhängigkeit in der Situation prägend: Hilfe anzunehmen ist für Alternde schwer und konfrontiert mit eigenen Grenzen. Daraus kann der Anspruch auf Kontrolle entstehen: „Es sind ja meine Räumlichkeiten.“ Auf der anderen Seite sind Pflegende aus dem Ausland in einer Abhängigkeitsposition mit wenig Entlastung. 
Diese strukturellen Probleme führen leicht zu Konflikten auf der persönlichen Ebene, wo etwa kulturelle Unterschiede zum Zankapfel werden. Auch Angehörige sind dabei schnell involviert. Helfen kann, sich dieser Lage bewusst zu sein. Abhängigkeiten werden kleiner, wenn man die Situation mit möglichst wenig negativen Konsequenzen für alle beenden kann, weshalb dieser Weg früh geklärt werden sollte. Wichtig ist auch ein Rahmen, wo allen Seiten etwas Distanz und „Urlaub von der engen Beziehung“ ermöglicht wird, so etwa durch Gespräche mit Unbeteiligten, bei denen man sich verstanden fühlt und mit Humor auf die Erlebnisse schauen kann.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Mai/Juni 2025.
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