10. Januar 2010

Wenn es doch nur so einfach wäre!

Von nst_xy

“Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!” Der Volksmund kann manchmal sehr komplizierte Zusammenhänge auf eine einfache Formel bringen. Doch wer immer schon einmal versucht hat, sich konsequent nach so einer Formel zu richten, wird schnell zu der Erkenntnis gelangen: Wenn es doch nur so einfach wäre!

In einer Ehe oder Partnerschaft kommt es ganz wesentlich darauf an, dass die zwei Menschen, die ihr Leben miteinander teilen, richtig miteinander kommunizieren. Davon ist unser Interviewpartner, der Braunschweiger Paar-Psychologe Kurt Hahlweg, zutiefst überzeugt. Wenn ein Paar nicht richtig miteinander sprechen gelernt hat, kann irgendwann alles, was der andere macht oder nicht macht, eine negative Bedeutung bekommen. Selbst die schönen Erinnerungen aus der Anfangszeit einer Beziehung können dann nachträglich ins Negative uminterpretiert werden. Andererseits – und das ist doch sehr tröstlich – genügen manchmal auch wenige Worte, um eine positive Erinnerung wachzurufen und unserem – offenbar sehr wandlungsfähigen – autobiographischen Gedächtnis wieder einen positiven Anstrich zu geben.
Aber reden allein reicht nicht, unterstreicht Hahlweg. Er kenne viele Paare, die unendlich viel miteinander reden, und sich trotzdem nicht verstehen. Hahlweg setzt darum unter anderem auf Trainingsprogramme, in denen man lernen und üben kann, wie man so miteinander redet, dass man einander auch einigermaßen versteht.

Ganz anders die Wiener Psychologin Elisabeth Lukas. Die Schülerin von Viktor E. Frankl beschreibt in ihrem neuesten Buch Menschen, bei denen man sich einfach wohl fühlt, auch wenn man kein Wort mit ihnen wechselt. „Es braucht nichts besonderes mit ihnen unternommen, besprochen oder durchdiskutiert zu werden, das Besondere ist die Atmosphäre, die sie verbreiten.“ Aus der Sicht Viktor E. Frankls, gehe es dabei nicht um ein selbst auferlegtes Schweigen, sondern um etwas, „was unabhängig vom Reden zwischen uns Menschen schwingt.“ Und daraus entstehe eine Atmosphäre, „in der jeder frei atmen und er selbst sein darf.“

Ganz wir selbst sein! Über diesen tiefen Wunsch eines jeden Menschen schreibt Herbert Lauenroth in seinem Beitrag zum „Boom der Lebenskunst“. Die überraschende Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ findet er in der Aussage von Dietrich Bonhoeffer: „Dein bin ich, o Gott!“
Für mich heißt dieser Satz: Ich gehöre nicht mir selbst, und ich bin ganz ich selbst, wenn ich bei dem bin, der das Leben ist. Diese Gewissheit empfinde ich als enorm entlastend.
Sie gilt aber nicht nur für mich, sondern für jeden Menschen. Jede Person, mit der ich zu tun habe, gehört nicht sich selbst (und schon gar nicht mir!). Wenn diese Einsicht meine Beziehungen und Umgangsformen prägt, wenn sie mein Reden bestimmt oder mich zum Schweigen veranlasst, dann kann jene Atmosphäre entstehen, in der alles zu Gold wird: reden und schweigen, tun und lassen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein reiches Jahr 2010.

Ihr
Joachim Schwind,
Chefredakteur

Denn oft sind Worte wie
Papierlaternen,
wohlfeiler Tand nur,
bis ein Licht sie sacht erhellt
und immer durchsichtiger macht.
Dann hängen sie gleich zauberischen
Sternen
in der Unendlichkeit der Nacht.
Manfred Hausmann (1898 – 1986)

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2010)
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