24. Juli 2018

Massive Eingriffe in die Natur

Von nst5

Bienen sind nützlich und niedlich. Aber es geht nicht nur um sie. Viele Tier- und Pflanzenarten verschwinden. Weltweit.

„Das wichtigste Nutztier der Menschen ist in Gefahr.“ – „Das Bienensterben ist nur die Spitze des Eisbergs.“ – „Mehr als die Hälfte der 4 070 Schmetterlingsarten Österreichs ist bedroht.“ So schlagen Umweltschutzorganisationen Alarm. Seit Jahren verschwinden weltweit ganze Stämme von Honigbienen, sagen sie. Wegen ihrer Rolle bei der Bestäubung vieler Obst- und Gemüsearten sei unsere Lebensmittelversorgung gefährdet!
Bienenforscher wiegeln ab: Solange es Imker gibt, sei die Honigbiene nicht bedroht, so der Hohenheimer Bienenkundler Peter Rosenkranz Mitte Mai im „Zeit Magazin“. Auch der Deutsche Imkerbund sieht seit 2007 eine Entspannung der Lage. Offenbar haben sich nach Berichten über ein auffälliges Bienensterben in den USA in unseren Breiten viele Menschen verstärkt zum Schutz dieser Nutztiere engagiert. Gefahr also gebannt? Alles kein Problem?
Neun Arten Honigbienen gibt es weltweit; in Europa lebt eine davon. Seit Jahren sterben im deutschsprachigen Raum jeden Winter zehn bis dreißig Prozent der Bienenvölker. Hauptursache dafür sind unfreiwillig importierte Krankheiten und Parasiten, vor allem die Varroamilbe. Von den Honigbienen sind die Wildbienen zu unterscheiden, die mit 20 000 Arten auf der Erde vertreten sind. Von den rund 700 in Mitteleuropa heimischen stehen über ein Drittel auf der Roten Liste gefährdeter Arten, etwa fünf Prozent gelten als ausgestorben oder „verschollen“.
Im letzten Jahr hat der Krefelder Entomologische (insektenkundliche) Verein mit der Veröffentlichung einer Studie Aufsehen erregt: Nach dessen Untersuchungen ist die Biomasse flugfähiger Insekten zwischen 1989 und 2016 um 76 bis 81 Prozent zurückgegangen. Und das in Naturschutzgebieten! Andere Wissenschaftler, deren Ergebnisse einen weltweiten Verlust an Insekten angezeigt hatten, sahen sich bestätigt. Einerseits mag sich mancher freuen, beim Essen oder Spielen im Freien weniger von Insekten belästigt zu werden. Aber was werden letztlich die Folgen dieses Schwunds für den Menschen sein, wenn man an die zentrale Bedeutung der Insekten für die Umwelt denkt?
Und der Verlust an Arten trifft ja nicht nur sie. Tausende von Tier- und Pflanzenarten verschwinden jedes Jahr. Die Gesamtzahl aller Spezies wird auf 13 Millionen geschätzt, von denen bisher nicht einmal zwei Millionen wissenschaftlich beschrieben sind. Ständig werden noch neue entdeckt. Wer denkt, na, das sind doch wohl immer noch genügend, verkennt, dass sich jede Tier- und Pflanzenart im Laufe der Evolution an ihre Umgebung angepasst hat: Jede hat ihre Bedeutung, ihre eigene Funktion im Zusammenspiel mit den anderen Arten. Ihr Verlust hinterlässt eine Lücke, die zwar nach und nach von anderen Arten mit ausgefüllt werden kann. Werden jedoch zu viele Arten in relativ kurzer Zeit ausgerottet, können größere Bereiche der Kreisläufe der Natur durcheinandergeraten. Da die Funktion einer Art mehr oder weniger entscheidend für das Ganze sein kann, kommt es insgesamt nicht so sehr auf die Anzahl der Arten an, sondern auf ihre Bedeutung im Zusammenspiel. Der Begriff „Biodiversität“ berücksichtigt das: Er umfasst nicht nur den Reichtum an Arten, sondern auch die genetische Vielfalt innerhalb einer Art, den Reichtum an Lebensräumen und an Funktionen und Prozessen in diesen Ökosystemen.
Die Weltnaturschutzunion IUCN geht so weit zu behaupten, der heute feststellbare Artenrückgang überträfe das übliche Aussterben um mehr als das Tausendfache. Nicht alle Wissenschaftler teilen die Befürchtung der IUCN, der Wegfall aller vom Aussterben bedrohter Arten könnte zum 6. Massenaussterben führen. Dem letzten, mit dem vor 66 Millionen Jahren die Kreidezeit endete, fielen die Dinosaurier zum Opfer. Sicher ist, dass an der aktuellen Dezimierung der Arten die massiven Eingriffe der Menschheit in die Natur einen wesentlichen Anteil haben.
Was führt zu ihrem Verschwinden? Auf eine ganze Reihe von Gründen werden Sie auf den nächsten Seiten stoßen, vor allem im Interview mit Andreas Segerer. Erwähnt sei hier schon einmal die zunehmende Bebauung: Straßen, Industriegebiete, Logistikzentren lassen der Natur immer weniger Platz. Wo Wälder, Äcker, Wiesen durch Asphalt, Stahl, Glas und Beton ersetzt werden, verlieren die Tiere ihre Lebensräume und Nahrungsquellen. Speziell für Insekten sind nächtliche Lichtquellen eine tödliche Falle: Flutlichtanlagen, Straßenbeleuchtungen, Leuchtreklamen tragen zur „Lichtverschmutzung“ bei.
Was können wir selbst tun, um Tieren, vor allem Insekten, mehr Chancen zum Überleben zu bieten? Die folgenden Anregungen stammen im Wesentlichen aus einem Vortrag von Gerhard Haszprunar aus Wien, Professor für Systematische Zoologie in München und Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns, gehalten in der Katholischen Akademie München:

  • Im Garten kurzen Rasen durch eine blühende Wiese ersetzen: keinen Humus, Dünger oder Rasenmäher verwenden.
  • Den Garten abwechslungsreich bepflanzen. Auf Blüten mit für Insekten frei zugänglichen Staubblättern achten. Pflanzen berücksichtigen, die in der zweiten Jahreshälfte blühen.
  • Blühende Sträucher und Hecken einsetzen. Keine Lebensbäume/Thujen.
  • „Schlampige Ecke“ im Garten mit Ästen und verrottendem Material ermöglichen. Sie wird von vielen Kleintierarten besiedelt und zur „Lernecke“ für Kinder.
  • Für „grüne“ Parkplätze Lochsteine und schattenspendende blühende Bäume setzen.
  • Auf Flachdächern Biotope ermöglichen: statt Kiesbeschichtung zehn Zentimeter hohes Erd-Sand-Gemisch. Einmal jährlich beginnenden Baumbewuchs entfernen.
  • Wandflächen mit grünem Efeu oder Wein bepflanzen.
  • Außenbeleuchtung: Bewegungsmelder anbringen. „Warmes“ sowie direkt nach unten gerichtetes Licht senkt die Lockwirkung für Insekten.
  • Fragend schauenden Nachbarn erklären, warum Sie vorherige Tipps beherzigen, und diese weiterverbreiten.
    Clemens Behr

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2018)
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