10. Juli 2009

Besser hinhören

Von nst_xy

Es war mir richtig peinlich: Seit einigen Minuten schon hörte ich einer Anruferin am Telefon zu, die mir etwas Wichtiges zu sagen hatte. Und trotzdem war es geschehen: Meine Gedanken waren abgeschweift, und ich hatte komplett den Faden verloren. Mit einem Mal wusste ich nicht mehr, wovon meine Gesprächspartnerin redete. Gott sei Dank war ich dieses Mal geistesgegenwärtig – und vielleicht auch bescheiden – genug, sie zu unterbrechen, ihr offen einzugestehen, dass ich unaufmerksam gewesen war, und sie zu bitten, mir die letzten Gedanken noch einmal zu wiederholen.

Ein anderes Mal hätte ich meine Unachtsamkeit womöglich gar nicht bemerkt und hätte das Gespräch beendet, ohne das Anliegen der Anruferin wirklich verstanden zu haben. Oder aber ich hätte meinen Fehler einfach überspielt und so getan, als ob alles klar wäre, um mir keine Blöße zu geben.

Zuhören ist gut, hinhören ist besser, so lautet mein Fazit aus der Begebenheit. Was wie ein Wortspiel anmutet, ist in Wirklichkeit’ein ganz zentrales Element unseres menschlichen Handelns: Wir Menschen sind in der Lage, unsere Sinnesorgane auf etwas hin auszurichten. Wir können nicht nur sehen, hören, spüren, sondern hinsehen, hinhören und hinfassen. Und dieses „hin“ wird nicht nur von äußeren Reizen und Attraktionen gesteuert, die unsere Blicke auf sich ziehen oder uns die Ohren spitzen lassen. Hinschauen, hinhören, hinfassen kann die Folge einer ganz bewussten, durch unsere menschliche Vernunft gesteuerten, Entscheidung sein.

Was meistens nur passiv geschieht, kann auf diese Weise zu einer höchst aktiven Angelegenheit werden, sozusagen zu einer Handlung, die Ausdruck von Aufmerksamkeit, Zuwendung, Verständnis, Beziehung wird: eine Möglichkeit, zu lieben. Beispiele dafür finden Sie in dem Bericht über jordanische Schüler, die selbst zu Lehrern werden, in der Art, wie am Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf Beziehungen gepflegt werden oder in dem Leitungsstil, den der Unternehmer Theo Naarmann pflegt.

Was geschieht, wenn wir beispielsweise nicht nur passiv hören, nicht nur geduldig oder erduldend zuhören, sondern ganz aktiv hinhören? Es geht auf einmal ganz und gar um die Person, die gerade zu uns spricht; unsere Sinneswahrnehmung wird persönlich! Wir sind „ganz Ohr“. Das Hinhören zielt auf den Kern, ist bemüht, ganz zu verstehen. Wer hinhört will – konsequenterweise – auch wissen, ob er verstanden hat. Und schon sind wir mitten in einer tiefen Kommunikation.

Ich bin übrigens davon überzeugt, dass dieses Hinhören zu jenen Haltungen gehört, die sich fast von alleine entwickeln; es genügt, sich hier und da, ab und zu einmal darum zu bemühen. Jedes Mal, wo es gelingt, macht „Lust auf mehr“.

Ab und zu einmal so richtig hinhören: Das wünsche ich Ihnen für die bevorstehende Ferienzeit. Ich bin sicher, dass die kleine Anstrengung, die das vielleicht verlangt, bei weitem aufgewogen wird durch ein ganz neues Erholungserlebnis.

Schöne Ferien wünscht Ihnen,
Joachim Schwind

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2009)
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