10. September 2009

Es lebe das Chaos!

Von nst_xy

Ist Ihnen der Name Edward Lorenz bekannt? Also mir wäre er kein Begriff gewesen, und doch schrieb die Presse bei seinem Tod im April 2008, dass der amerikanische Meteorologe unser Weltbild mindestens genauso verändert habe, wie Albert Einstein oder Max Planck.

Edward Lorenz gilt als Vater der Chaostheorie. Sehr vereinfacht gesagt entdeckte er, dass bestimmte Phänomene in der Natur mit keiner noch so potenten Rechenleistung eines Supercomputers vorhersagbar sind. Ein Schmetterling – so die berühmt gewordene Metapher der Chaostheorie – der in Shanghai mit den Flügeln wackelt, kann theoretisch in New York einen gewaltigen Wirbelsturm auslösen. Der Volksmund wusste es wohl schon länger: „Kleine Ursache – große Wirkung!“
Das Schöne an der Chaostheorie ist: Sie lässt uns die Hoffnung, dass selbst unsere unscheinbarsten Entscheidungen irgendwo eine große Wirkung haben können. Diese Perspektive haben wir dringend nötig in einer Zeit, in der unsere Lebenswelt scheinbar immer größere Dimensionen bekommt und damit zugleich unüberschaubar wird. Unsere eigenen kleinen Schritte kommen uns in diesen globalisierten Zusammenhängen zunehmend unbedeutend und – im wahrsten Sinn des Wortes – „unangemessen“ vor. Und es besteht die Gefahr, dass wir uns gewissermaßen vorbeugend entmutigen lassen: „Was kann ich denn da schon bewirken?“
„Jeder kann etwas ändern!“ – „Mach dich auf den Weg!“ so lauten die Überschriften der ersten beiden großen Beiträge in dieser Ausgabe der NEUEN STADT. Die Abfolge ist nicht geplant, und doch wirken die beiden Titel – hintereinander gelesen – wie eine logische Schlussfolgerung. Im Interview erklärt uns der Eichstätter Sozialethiker André Habisch, dass auch die jetzt dringend notwendige ethische Regulierung der internationalen Finanzwelt eine Aufgabe ist, an der jeder einzelne mitwirken kann und soll. Und der Bericht über eine Friedensinitiative im westfälischen Kamen macht nicht nur deutlich, was ein paar „Schmetterlingsflügelschläge“ bewirken können; er zeigt auch, wie lebendig, anziehend und gesellschaftsverändernd Kirche heute noch – oder wieder? – sein kann.
Das Kamener Modell der Chaostheorie hat allerdings eine zusätzliche, nicht wissenschaftliche Dimension. Die „Flügelschläge“ der jungen Leute beziehen ihren Impuls und ihre Kraft aus einem Flügelschlag, der 2000 Jahre her ist, aus ein paar Worten, die vor zwei Jahrtausenden in Palästina gesprochen worden sind. Sie ließen sich verdichten in dem Satz, den die NEUE STADT in diesem Monat zum Nachleben vorschlägt: „Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“
Im entscheidenden Moment sein Handeln an dem ausrichten, was dem Reich Gottes, wir könnten auch sagen: der Liebe Gottes, Raum gibt! Das ist der Schmetterlingsflügelschlag, der den Lauf der Welt verändern kann.
Wann aber ist dafür der richtige Zeitpunkt? Jeden Augenblick? Das sollten wir uns besser nicht vornehmen, um an dem Versuch nicht zu verzweifeln. Jetzt ist der richtige Augenblick dafür, nur jetzt!
Ihr Joachim Schwind

Wer liebt, lebt.
Wer lebt, muss nicht lieben.
Doch wer lebt und liebt, der liebt das Leben …
Patrick Lehnen, dt. Entwickler, Gestalter, Künstler u. Philosoph, geb. 1983

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2009)
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