Vom Echo zum Dialog

Gedanken zur Gegenseitigkeit

Haben wir Menschen in unserer Natur eine Neigung zur Gegenseitigkeit? Die Antwort ist „Ja“! Viele Redewendungen bestätigen das: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ oder „Eine Hand wäscht die andere!“ oder „Geben und Nehmen“ oder „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“

Menschen nehmen genau wahr, was ihnen widerfährt. Sie richten ihre Reaktionen danach aus, und so können negative Beziehungserfahrungen ihre Kreise ziehen. Dasselbe gilt glücklicherweise auch im Positiven. Schon früh entwickelt sich eine Person nur mit Hilfe von Austauschprozessen, in deren Zentrum das Echo der Bezugsperson auf ihr Kind steht. Ohne Echo läuft vieles schief! Ein Baby etwa braucht dieses Echo nach 0,8 Sekunden, um es sicher auf sich selbst zu beziehen.

Ein Psychologenkongress im Mai 2008 in Castel Gandolfo, Italien, hat sich intensiv damit befasst, welche Rolle Beziehung und Gemeinschaft für die Selbstverwirklichung eines Individuums in der postmodernen Zeit spielen. Es ging um den „Homo reciprocus“, der seine Identität nur findet und entwickelt, wenn ein anderer ihn sieht, um ihn weiß und ihn persönlich wahrnimmt – und wenn er seinerseits imstande ist, den anderen zu sehen, zu erkennen und individuell wahrzunehmen. Ich möchte hinzufügen: wenn er erfährt, dass er für den Anderen eine Quelle der Freude, des Glückes sein kann. Menschen haben die Möglichkeit, sich selbst „nachzuerziehen“ und ebenso andere darin zu unterstützen, verändernde Neuerfahrungen zu machen. Ich darf dem Anderen also Echo geben, in einen Dialog mit ihm treten: in der Erwartung, dass etwas Gutes dabei herauskommen kann, in der mutigen Annahme, dass er oder sie sogar Ursache für mein Glück und meine Freude sein kann. Lassen Sie es auf einen Versuch ankommen!
Dorothea Oberegelsbacher

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2009)
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