10. April 2010

Orientierung im Tagesgeschehen

Von nst3

Die Medienlandschaft verändert sich massiv. Neben Fernsehen, Radio und Zeitungen spielt das Internet als Informationsquelle eine immer größere Rolle. Was bedeutet das für die Qualität der Nachrichten und den Journalismus? Darüber sprachen wir mit Klaus Arnold, Dozent für Journalimus in Eichstätt.

Herr Arnold, die Medienlandschaft steckt in einem riesigen Umbruch. Wird es traditionelle Medien und Journalisten bald nicht mehr geben?

Arnold: Man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Ja, es gibt Veränderungen, aber die gab es auch im Journalismus schon immer. Ich bezweifle, dass alles vollkommen neu wird. Die Veränderungen bestehen hauptsächlich darin, dass alles über das Internet läuft und dort zusammenfließt. Und deshalb erleben wir im traditionellen Medienpotpourri – Fernsehen, Radio, Zeitung – Verschiebungen. Im Moment haben vor allem die Zeitungen große Schwierigkeiten zu überleben. Und wahrscheinlich wird es in 20 Jahren keine Zeitung in der heutigen Form mehr geben.

Wird sich tatsächlich alles ins Internet verlagern?

Arnold: Das ist schwer zu sagen. Bisher macht fast keine Zeitung in Deutschland im Internet Gewinn. Die Nutzer haben sich daran gewöhnt, dort alles umsonst zu bekommen. Wenn es den Verlagen nicht gelingt, ein Bezahlmodell zu entwickeln, wird es Zeitungen im Internet wohl nicht auf Dauer geben. Aber es gibt ganz andere Möglichkeiten – wie das I-Pad oder Lesegeräte; früher oder später wird eine solche Technik das Papier ersetzen.Bei den traditionellen Medien werden einige vielleicht verschwinden oder noch stärker zusammenwachsen als bisher. Was wir im Internet jetzt schon ansatzweise sehen, wird sich noch verstärken: ein Mix aus Filmen, Audio-Elementen, Texten. Wahrscheinlich muss man sich das so vorstellen, wie die Zeitung in den Harry- Potter-Filmen, wo auf der Titelseite kein starres Foto mehr ist, sondern eine Art Film. Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen.Von einer anderen Entwicklung wird auch seit Jahren gesprochen: dass der traditionelle Journalismus in Gefahr sei und durch Bürgerjournalismus im Internet ersetzt werde. Das ist eine Prognose, von der ich nicht glaube, dass sie eintreffen wird. In einigen Ländern wie in den USA mag diese Entwicklung stärker gewesen sein. Dort gibt es bekannte Blogger, also Laien-Journalisten im Internet, die eine große Bedeutung haben. In Deutschland erlebe ich das bisher kaum.

Woran liegt das?

Arnold: Daran, dass die traditionellen Medien noch eine bessere Position haben. Vor allem die Zeitung, samt ihrer Ableger im Internet, ist in Deutschland wesentlich stärker als in den USA. Dort hat der Niedergang der Zeitungen schon Ende der siebziger Jahre eingesetzt. In Deutschland erst zehn, 15 Jahre später. Und nachdem man die Entwicklungen in den USA kannte, hat man von Seiten der Verlage versucht, stärker gegen- zusteuern.

Stimmt der Eindruck, dass man sich auch bei uns aktuelle Nachrichten immer mehr aus dem Internet holen wird und in den Zeitungen dann nach Kommentaren und Bewertungen sucht?

Arnold: Ich bin nicht sicher, ob das wirklich so zutrifft. Es gibt viele Studien darüber, welche Teile der Zeitungen am häufigsten gelesen werden. Dabei schneiden gerade Kommentare und Leitartikel nicht so gut ab. Aber es stimmt, dass es einen starken Wunsch nach Orientierung gibt. Die Aufgabe des Journalismus ist es, den Menschen im aktuellen Tagesgeschehen diese Orientierung zu geben: nicht nur auf das zu schauen, was heute passiert, sondern das Ganze in einen größeren Kontext zu stellen. Wenn Leute viel ins Internet ausweichen und dort – vor allem in den Blogs – Kommentare lesen, sich dort Orientierung suchen, dann ist das auch ein Versagen der traditionellen Medien. Sie sollten sich als Wegweiser bei der Hintergrundanalyse und durch Kommentare hervortun.

Was bedeutet das?

Arnold: Journalisten brauchen eine gute Ausbildung, sie müssen wissen, wie man Geschichten recherchiert. Sie müssen sich in der Darstellungsform auskennen, eine gute Schreibe haben, und nicht zuletzt auch auf Werte und Normen im Journalismus achten, die Laienjournalisten so nicht im Blick haben.

Welche sind das beispielsweise?

Arnold: Traditionell zunächst der Bereich, den wir als Objektivität bezeichnen. Nun kann man sich natürlich lange darüber unterhalten, ob diese Objektivität tatsächlich erreichbar ist. Aber in den letzten 150 Jahren haben wir einen Nachrichtenjournalismus entwickelt, bei dem man ohne direkte Wertungen versucht, möglichst objektiv zu schildern, beide Seiten zu hören und sich um eine neutrale Sprache bemüht. Weiter ist der Schutz der Intimsphäre zu nennen; auch das ist eine Aufgabe des Journalismus. Im Internet ist es ja leider immer wieder der Fall, dass Menschen bloß gestellt werden. Aber auch im traditionellen Journalismus gibt es problematische Bereiche. So werden in der Boulevardpresse meines Erachtens Normen – wie der Schutz der Persönlichkeit – systematisch gebrochen. Da muss man als Gesellschaft entscheiden, ob man das so haben und mittragen will.

Emotionalität spielt aber eine große Rolle, oder? Twitter beispielsweise lebt nicht zuletzt von der emotionalen Berichterstattung.

Arnold: Ist das denn Journalismus?

Aber können Medien und Journalisten daran vorbei?

Arnold: Ich denke und hoffe, dass die Medienunternehmer so klug sind zu erkennen, wo ihre Kernkompetenzen liegen. Ganz klar, wenn heute irgendwo ein Erdbeben ist, ein Flugzeug abstürzt, werden immer Menschen da stehen, die ihr Handy bereithalten. Sie werden das, was sie sehen, fotografieren und auch twittern. Aber ich meine, da geht es um punktuelle Ereignisse: Amokläufe, Verbrechen, Katastrophen, all das, was in einem guten Medium auf der Panoramaseite zum Schluss steht. Da wird der professionelle Journalismus nicht mithalten können. Diese Live-Eindrücke sind direkter, emotionaler. Die Aufgabe des Journalismus wäre dann: das Geschehen einzuordnen; weiter zu recherchieren; das Material zu bewerten, das über Handy-Kameras oder Twitter reinkommt; zu fragen, ob es authentisch ist oder ob Falschmeldungen dabei sind – und dann den großen Bogen zu spannen: Warum sind so viele Menschen gestorben? Wie läuft die Rettung? Dabei ist auch das Material aus dem Netz gar keine so große Konkurrenz. Journalisten selbst sollten nicht emotional sein. Emotionale Äußerungen übernehmen sie als Zitate, sie sind ein Instrument in einem größeren Kontext.

Dennoch entsteht durch die neuen Möglichkeiten Druck auf die traditionellen Medien. Die Leute können schnell und hautnah dabei sein. Ist das auch ein finanzieller Faktor, weil Emotionen sich leichter verkaufen?

Arnold: Wenn man über Qualität im Journalismus redet, muss man auch über den Unterhaltungswert sprechen. Journalismus soll nicht langweilen, sondern unterhalten. Und es ist auch eine wichtige Fähigkeit des Journalisten, den Kontext unterhaltsam zu gestalten. Dabei kann man auf ein gewisses Niveau achten, man muss da nicht total reißerisch sein. Wenn der Bedarf der Menschen danach so groß wäre, dann hätten wir nur Medien im Stil der Bildzeitung. Und wenn Menschen sich nur auf das Emotionale und Reißerische stürzen würden, hätte sich schon bei der Einführung des Privatfernsehens alles viel Grund legender verändert. Dann wären die Öffentlich- Rechtlichen schon tot, oder die Privaten hätten ein ganz anderes Angebot. Die Chance des guten Journalismus ist die Distanz, das Einordnen. Als Journalist kann ich mir Twitter und andere Medien auch zunutze machen. Man muss sich nicht mehr für alles selbst auf den Weg machen. Dadurch werden Kapazitäten für andere journalistische Tätigkeiten frei.

Sie sehen also durchaus Chancen der Synergie?

Arnold: Sicher. Man wird bestimmte Sachen an den Laien abgeben und sich auf das journalistische Kerngeschäft konzentrieren müssen. So wie er sich über die Jahrzehnte hinweg entwickelt hat, muss der professionelle Journalismus gewisse Vorteile haben, sonst hätte er sich in der breiten Masse nicht durchgesetzt. Es hätte dann schon sehr viel früher viel mehr geschickte Unternehmer gegeben, die ihre Zeitungen anders ausgerichtet hätten. Deshalb bin ich durchaus optimistisch.

Vielen Dank für das Gespräch.

Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2010)
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