10. Oktober 2010

Sollen oder müssen?

Von nst_xy

Eigentlich sollte ich ja … – Seit einiger Zeit versuche ich, mir diesen Satz abzugewöhnen oder besser: so zu leben, dass er mir gar nicht erst kommt.

Denn es steckt viel zu viel Frust in dieser Aussage. „Eigentlich” bedeutet, dass ich mit dem, was ich gerade tue, ja in Wirklichkeit nicht so ganz bei mir selbst bin. Was ich mache, ist mir oder der Situation nicht angemessen, nicht „eigen”. Aber auch das „Sollen” gefällt mir nicht besonders. Es klingt nach Regel, nach Gesetz, nach Vorschrift; nach etwas, das mich drängt, das von außen an mich herangetragen wird.

Wie kann man – so werden Sie sich vielleicht fragen – mit so einer Haltung einer Religion angehören, deren wichtigste zehn Regeln mit „Du sollst nicht…” beginnen? Und deren Hauptgebot in der Doppelform gleich zweimal mit „Du sollst… ” beginnt?

Eines dieser beiden Gebote ist das „Wort des Lebens” für diesen Monat. Und das, was wir nach diesem Wort leben sollen, ist bei genauerem Hinsehen an Unmöglichkeit schwer zu übertreffen: „Lieben” sollen wir! Also auf Kommando jemanden gern haben? Und das soll auch noch für alle gelten? Wie soll das gehen?

Zu einer solchen Haltung, das betont Chiara Lubich in ihrer Erläuterung zu diesem Schriftwort, ist nur Gott selbst in der Lage. Letztlich kann nur er uns in die Lage versetzen, so zu lieben. Aber wie? Und was können wir dazu tun?

Wir können, dürfen uns lieben lassen”, so würde ich die Antwort umschreiben, die Madeleine Delbrêl formuliert. Ihre Logik ist einfach und nachvollziehbar: Liebe ruft Liebe hervor. Wer sich lieben lässt, wer sich geliebt weiß, kann nur mit Liebe antworten. Und dann geht es nicht mehr nur um ein „Sollen”, dann „müssen” wir lieben, weil wir von innen heraus dazu gedrängt werden.

Diese Grundhaltung zieht sich durch das Leben des Gärtners Joachim Wolf. Seit die Mauer gefallen ist, hat der in der DDR aufgewachsene Gärtner bereits 17 Jobs gehabt. Und trotzdem ist er in der Lage, den alten Zeiten nicht nachzutrauern, sondern „fast wie ein Stehaufmännchen” immer wieder neu anzufangen.

Auch der pensionierte Bankdirektor Waldemar Silfest ist so ein Typ. Weil er den Eindruck hatte, dass hinter dieser Idee einer Bürostuhlfirma ein „Plan Gottes” steckte, hängte der inzwischen 80-Jährige sich noch einmal ins Geschirr und setzte für eine gute Sache seine Freundschaften und seinen Ruf aufs Spiel. Er „musste” einfach!

Wenn wir nur den an uns heranlassen, der immer schon will, was wir sollen, – dann müssen wir, ob wir wollen oder nicht. Alles klar?
Ihr
Joachim Schwind

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2010)
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