30. April 2012

Umstürze

Von nst_xy

Die Politik soll sich ändern, die Gesellschaft, die Kirche – vieles ist verbesserungswürdig: Wir rufen nach Reformen. Möglichst rasch soll sich der Wandel vollziehen. Aber Veränderung braucht Zeit. Das merken wir, wenn wir auf uns selbst schauen. Wie schwer fällt es, gute Vorsätze zu halten, Kritik anzunehmen, unliebsame Eigenschaften abzulegen: Wandel ist oft nicht nur ein langer, sondern auch ein schmerzhafter Prozess.

Das gilt im persönlichen Bereich wie auch für politische Veränderungen. Deutlich wird das am arabischen Frühling: ein romantischer Begriff für einen Umbruch, der zahlreiche Opfer kostet! Wie geht es weiter mit der Revolution? Rund ein Jahr nach Beginn der Proteste in Ägypten hat sich der Chefredakteur unserer italienischen Schwesterzeitschrift Citta Nuova in Kairo selbst ein Bild gemacht.

Im Kindergarten Rodaun in Wien stand ein Umbau an: Verglichen mit den Umwälzungen im arabischen Raum nur eine Veränderung im Kleinen. Dennoch im Alltag der Kinder, Eltern, Erzieherinnen und Träger der Einrichtung ein bedeutender Einschnitt! Wie die unterschiedlichen Bedürfnisse auf einen Nenner bringen? Weil jeder bereit war, seine Vorstellungen einzubringen, sie aber nicht gegen andere durchdrücken wollte, kam es zu einem Ergebnis, das die Beteiligten selbst überraschte und alle zufriedenstellte.

Wie wir mit jemandem sprechen, entscheidet sich in den ersten 30 Sekunden: Von seinem Erscheinungsbild, seiner Sprechweise, unserer Einstellung und unserem Urteil hängt es ab, ob wir uns ihm öffnen oder verschließen, erklärt die Münchner Kommunikationstrainerin Nadja Raslan. Haben wir ehrliches Interesse am Gesprächspartner? Nehmen wir uns Zeit für ihn? Dann stehen die Chancen gut, dass wir einander verstehen. Die Wörter und Sätze sind dabei eher zweitrangig. Mindestens ebenso bedeutsam ist die nonverbale Kommunikation, die Haltung, der Blick, die Gesten.

Ob sich Kardinal Woelki dessen bewusst ist? Unser Eindruck jedenfalls ist, dass er mit erfrischenden Gesten einen neuen Wind nach Berlin gebracht hat. Von der Bereitschaft zuzuhören, auf Menschen zuzugehen und auch Andersdenkende zu verstehen können über das Hauptstadtbistum hinaus Signale ausgehen.

Wandel kann schmerzhaft sein. Das führen uns gerade die Kar- und Ostertage vor Augen: Jesus Christus leidet und stirbt. Eine unglaubliche Geste! Ohne viele Worte. In seinem Schmerz und Alleingelassensein ist er den Menschen nah, die innere Dunkelheiten durchmachen, schreibt Basil Hume (S. 21 in der gedruckten Ausgabe). Dann scheint mit seinem Tod alles aus zu sein. Doch unerwartet bricht neues Leben auf. Ganz anderes, vorher nicht gekanntes Leben. Das ist die Auferstehung, die Christen an Ostern feiern. Gibt es drastischeren Wandel?

Umkehr, Umgestaltung, Revolution, jeglicher Wandel verunsichert. Wir fürchten uns davor, und das dürfen wir auch. Aber wenn er die Chance bietet, neues Leben aufbrechen zu lassen, sollten wir uns ihm nicht verschließen.
Ihr
Clemens Behr

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2012)
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