27. Mai 2013

Wo Plastik problematisch wird

Von nst1

Kunststoffe haben viele Verwendungsmöglichkeiten: vom Fußbodenbelag über Kabel, Rohre, Tragetüten bis zum Armaturenbrett beim Auto. Aber die bunte Plastikpracht hat auch ihre Kehrseite. Wir sprechen darüber mit dem Chemie- und Pestizidexperten Helmut Burtscher.

Wir können uns ein Leben ohne Kunststoffe kaum noch vorstellen. Lauern um uns herum lauter Gefahren?
BURTSCHER: Ja. Es sind vorwiegend Zusatzstoffe, aber auch Grundsubstanzen für die Kunststoffherstellung, die sich in medizinischen Studien und in Tierversuchen als gesundheitsgefährdend herausgestellt haben. Sie sind hormonell wirksam, können bestimmte körpereigene Steuerungsfunktionen stören und dadurch das Risiko bestimmter Erkrankungen erhöhen. Darunter sind Weichmacher (Pthalate), bromierte Flammschutzmittel und Bisphenol A (BPA).
Diese Stoffe kommen mittlerweile überall vor. Wenn Sie irgendwo in einer Stadt eine Luftmessung machen, können Sie Phthalate nachweisen. Sie sind aus Bedarfsgegenständen ausgedünstet. Man findet diese Chemikalien im Gletschereis, an den Polen und eben auch im Körper der Menschen, wo wir sie über die Nahrung und über die Atemluft aufnehmen. Die Konzentrationen sind gering. Aber hormonell wirksame Chemikalien können schon in sehr geringer Dosis wirken. Denken Sie an die Antibabypille, die nur etwa 20 Mikrogramm Östrogen enthält.

Heißt das, Weichmacher können ein Grund sein, dass heute mehr Menschen unfruchtbar sind?
BURTSCHER: Ja. Die Endocrine Society, die größte weltweite Dachorganisation von Medizinern und Wissenschaftlern, die über hormonell bedingte Krankheiten forschen, hat vor einigen Jahren vor einem erhöhten Risiko durch hormonell wirksame Chemikalien für bestimmte Krebsarten gewarnt: Brustkrebs, Prostatakrebs, Vaginalkarzinom, Hodenkrebs. Und sie hat auf mögliche Störungen der Fortpflanzungsfähigkeit hingewiesen. Das kann auch dadurch geschehen, dass eine Chemikalie im Körper eine ähnliche Wirkung wie das körpereigene Hormon erzeugt.
Daneben kann es Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem geben. Auch das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom ADHS wird in mehreren Arbeiten in Zusammenhang gebracht mit hormonell wirksamen Chemikalien. Noch dazu kommen Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Also eine breite Palette von Krankheiten, die natürlich nicht nur auf diese Chemikalien zurückgehen – da kommen eine Reihe anderer Faktoren hinzu -, aber sie erhöhen das Risiko.

Worin befinden sich diese Stoffe?
BURTSCHER: In den Innenbeschichtungen von Konservendosen, in Spielzeug, Autoscheinwerfern, CDs, in allen möglichen Alltagsgegenständen.

Wie ist das bei Nahrungsmitteln in Plastikfolie, Plastikdosen zum Aufbewahren von Lebensmitteln oder Plastikflaschen: Sind die unbedenklich?
BURTSCHER: Schwer zu sagen. Wir wollen im nächsten halben Jahr mit einer Untersuchung von Folien, Lebensmittelkontaktmaterialien, anfangen. Bei PVC-Folien, die es nach wie vor als Lebensmittelverpackungen gibt, waren zumindest früher Weichmacher drin. Und wenn ich mit einer Folie einen Käse verpackt habe, wo Phthalate drin sind, finde ich die natürlich auch im Käse wieder.

Weltweit werden riesige Mengen von Kunststoffen produziert und auch weggeworfen. Welche Folgen hat das?
BURTSCHER: Ein Aspekt betrifft die knapper werdenden Ressourcen. Viele Kunststoffe sind aus Erdöl gemacht, das nicht nachwächst und irgendwann zu Ende geht. Wobei es sinnvoller sein kann, aus Erdöl Kunststoffe herzustellen, als es zum Beispiel in Heizungen zu verbrennen. Ich will sagen, dass Kunststoffe nicht per se böse sind, sondern das Problem ist, dass wir Kunststoffe oft – weil sie so billig sind – als Einwegmaterialien benutzen. Ich denke an die Verpackungsindustrie. Mehrwegverpackungen aus Kunststoff wiederum, die keine schädlichen Chemikalien abgeben, können sehr nachhaltig sein: Sie können mitunter sogar einen besseren ökologischen Fußabdruck als Mehrwegflaschen aus Glas aufweisen, wenn man die Häufigkeit der Verwendung, die Herstellungs- und Transportkosten mitberücksichtigt.

Ein anderer Aspekt ist das Müllaufkommen, und da sind Einwegprodukte besonders problematisch. Vor allem, wenn dieser Müll nicht adäquat entsorgt, also verbrannt wird, sondern in der Umwelt landet. Denn Kunststoffe können Hunderte Jahre überstehen, bevor sie zersetzt werden. So haben sich in den großen Ozeanen immense Pastikmüllstrudel gebildet, deutlich größer als die Fläche Österreichs. Einige sprechen da vom siebten oder achten Kontinent. Die Kunststoffteile finden sich in den Mägen von Fischen und Vögeln wieder.

Sie sagen, man muss Plastik nicht grundsätzlich verteufeln. Aber was könnte man im Umgang damit verbessern?
BURTSCHER: Das Problem ist die fast unglaubliche Sorglosigkeit in der Plastikindustrie. Die Gefährlichkeit wird nicht erkannt, teilweise auch von den Behörden nicht eingeräumt. BPA wird in der Wissenschaft seit langer Zeit als sehr problematisch gesehen, und das nicht etwa von irgendwelchen Außenseitern. Dennoch vertreten die EFSA – die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit – und ihre Schwester in den USA etwa beim Gesundheitsrisiko durch BPA einen anderen Standpunkt: Sie setzen für die hormonelle Wirkung einen vielfach niedrigeren Wert an.
Wenn man sich anschaut, dass europäische Großkonzerne jährlich 100 000 Tonnen BPA produzieren, stehen offenbar sehr große wirtschaftliche Interessen im Hintergrund. Und der Verdacht drängt sich auf, dass diese Interessen auch die wissenschaftliche Arbeit beeinflussen.

Welche Forderungen stellen Sie an die Politik?
BURTSCHER: Einmal soll sie Rahmenbedingungen schaffen, die es den Behörden bei der Einschätzung von Gesundheitsrisiken ermöglicht, unabhängige Wissenschaft zu betreiben; ohne Verflechtungen zu Coca Cola, Nestlé, Bayer CropScience, BASF und so weiter.
Und dann sollte die Politik BPA verbieten. Frankreich drängt bereits EU-weit darauf. In Europa haben wir es erst einmal für Babyfläschchen durchgesetzt. In Österreich gibt es eine Sonderegelung für Baby-Schnuller. Dass eine hormonell wirksame Chemikalie ausgerechnet in Schnullern vorkommen darf, ist unglaublich. Zwar sind sie nicht giftig, haben aber eine Langzeitwirkung.

Sehen Sie Alternativen zu den schädlichen Stoffen? Gibt es Weiterentwicklungen, vielleicht biologisch abbaubare Kunststoffe, sodass sich künftig die Gefahren verringern lassen?
BURTSCHER: Natürlich. Babyfläschchen zum Beispiel werden aus verschiedenen Materialien hergestellt. Die EU hat Fläschchen aus Polycarbonat verboten, weil das aus BPA hergestellt wird; seit Juni 2011 dürfen die nicht mehr am Markt sein. Eine Untersuchung von fünf anderen Kunststoffarten hat ergeben, dass manche leider auch Chemikalien an den Flascheninhalt abgeben. Ein Kunststoff, Tritan, der noch sehr wenig verbreitet ist, jedoch nicht. Der ist auch als relativ sauberer Kunststoff bekannt und könnte eine Alternative sein. Aber auf den ist man wohl eher nebenbei gestoßen. Entwicklungen in diese Richtung gilt es bewusst anzustoßen, indem man auf das Problem aufmerksam macht.

Ich glaube, was es braucht, sind verlässliche Methoden, um herauszufinden, ob ein Kunststoff schädliche Stoffe abgibt oder nicht. Ich möchte mich nicht darauf verlassen, dass die Substanzen ungefährlich sind, die der Kunststoff an die Lebensmittel abgibt, sondern ich will, dass er überhaupt keine Substanzen abgibt! Natürlich wird sich nicht das letzte kleine schädliche Molekül verhindern lassen. Aber hier brauchen wir Methoden, die rasch und zuverlässig Ergebnisse liefern, und Grenzwerte, die weit niedriger sind als das, was momentan zulässig ist!

Herzlichen Dank für das Gespräch!
Clemens Behr

Tipps zum Schutz vor hormonell wirksamen Pestiziden im Essen und vor Hormonen im Plastik 1)

  • Essen Sie Bio-Lebensmittel. Sie sind frei von synthetischen Pestiziden.
  • Ansonsten waschen Sie Obst und Gemüse gründlich mit klarem, lauwarmem Wasser, um Pestizidrückstände teilweise zu beseitigen. Kinder sollten keine ungeschälten Zitrusfrüchte in den Mund nehmen.
  • Meiden Sie Polyvinylchlorid bei Lebensmittel-Behältern oder Kinderartikeln. Sie erkennen ihn am Kürzel PVC oder am Recyclingcode 03. Ebenso auf Kunststoffprodukte aus Polycarbonat (PC, 07) verzichten.
  • Bevorzugen Sie Glas statt Plastik.
  • Nutzen Sie möglichst wenig Lebensmittel aus Konserven. Die innere Kunststoffschicht gibt fast immer Bisphenol A (BPA) ab. Bisher hat nur Japan die Schicht durch einen PET-Film ersetzt.
  • Achten sie bei Schnullern für Babys darauf, dass sie BPA-frei sind.

1) Quelle: Global 2000, Broschüre „Hormone im Essen“

Helmut Burtscher,
geboren 1966, ist Pestizid- und Chemieexperte bei der österreichischen Umweltschutzorganisation Global 2000. An der TU Wien studierte er „Biochemie und Lebensmitteltechnologie“. Seine Doktorarbeit schrieb er 1999 im Themenbereich der Abwehr von Krankheitserregern.  

www.global2000.at
www.plastikfrei.at

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai 2013)
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