Der Staudamm des Anstoßes
An Erwin Kräutler, Bischof und Kämpfer für Indio-Rechte
Sehr geehrter Bischof Kräutler,
Sie kämpfen GEGEN ein Staudamm-Projekt, heißt es in Berichten über Sie. Genauer besehen, kämpfen Sie wohl eher FÜR Menschen und ihre Lebensbedingungen. In Ihrer Diözese soll 2015 eines der größten Wasserkraftwerke der Welt mit einer Leistung von elf Gigawatt in Betrieb gehen. Der Bau bedroht die indigenen Völker, die am Ufer des Flusses Xingu leben. Die beklagen, sie seien nie gefragt worden, obwohl die Verfassung das erfordere. Weil Ihnen deren Existenz am Herzen liegt, setzen Sie sich für sie ein, auch unter Lebensgefahr.
Belo Monte – so heißt das Mammutprojekt – wird nicht in erster Linie für die lokale Bevölkerung in den Urwald gestellt, sondern um großen Aluminiumkonzernen Strom zu liefern, die für den Export produzieren. Dabei könnte sich Brasilien, bevor es neue Megakraftwerke baut, auf sein enormes Energiesparpotential besinnen. Bis zu 40 000 Menschen müssen zwangsumgesiedelt werden, sagen Sie in Interviews, obwohl noch gar nicht klar sei, wohin; ihre Lebensgrundlage, der Fischfang, ihr Gemeinwesen und ihre Identität würden zerstört. Weitere Staudämme werden folgen und noch mehr Siedlungsgebiete der Indios bedrohen. Von den dafür gerodeten Urwaldflächen, gefährdeten Tierarten und nicht eingehaltenen Umweltauflagen gar nicht zu reden.
Kurios, dass das Projekt vor zwanzig Jahren schon einmal gestoppt worden ist. Der Popmusiker Sting hatte damals weltweit auf die Gefahr für die Indios aufmerksam gemacht. Vor einigen Jahren galten alle Abmachungen und Versprechungen plötzlich nicht mehr: Die brasilianische Regierung brachte den Plan neu auf die Agenda und schob die Umsetzung an. Ihr werfen Sie vor, indianerfeindlich zu sein. Nach Ansicht der verantwortlichen Politiker verhindern die Indigenen die Entwicklung des Landes. In Ihren Augen dagegen ist deren Beziehung zur Natur und ihr Gemeinschaftsbewusstsein eine unwiederbringliche Bereicherung. Gut, dass Sie die Rechte der Indios verteidigen! Auch wir sind Ihnen dankbar dafür!
An Belo Monte verdienen deutsche und österreichische Firmen kräftig mit, liefern Turbinen und Lastwagen. Sie haben wenig Interesse, den Bau des Kraftwerks, das zu einem Drittel schon steht, abzubrechen. Gibt es überhaupt noch ein Zurück?
Ihr Engagement für die einheimischen Völker geht weit über das Staudammprojekt hinaus. Dass Ihnen die brasilianische Bischofskonferenz kürzlich dafür den Rücken gestärkt hat, ist eine gute Nachricht. Mögen Ihr Einsatz und Ihre Argumente auch die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger überzeugen und umstimmen. Sodass sie Lösungen suchen, die Energieversorgung Brasiliens zu sichern, ohne den ethnischen und menschlichen Reichtum zu opfern.
Von Morddrohungen und 400 000 Euro Kopfgeld, das Gegner auf Sie ausgesetzt haben, lassen Sie sich nicht einschüchtern. Sie leben seit Jahren unter Polizeischutz und machen trotzdem weiter, weil Sie sich für die Armen und Rechtlosen verantwortlich fühlen. Unsere Hochachtung für diese Courage!
Mit freundlichen Grüßen,
Clemens Behr
Redaktion NEUE STADT
Unser offener Brief wendet sich an den katholischen Missionar Dom Erwin Kräutler (74). Geboren in Koblach, Vorarlberg, ging er 1965 nach Brasilien und wurde 1981 Bischof der Diözese Xingu. Für seinen Einsatz für die Rechte der Indios und den Erhalt des tropischen Regenwaldes im Amazonasgebiet erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2010 den alternativen Nobelpreis.
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juni 2013)
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