13. Juni 2013

Ein Geschenk, das Leben retten kann

Von nst1

In diesen Wochen erhalten in Deutschland viele Versicherte Post von ihrer Krankenkasse mit der Bitte, sich zum Thema Organspende Gedanken zu machen. Gleichzeitig gab es Meldungen über Manipulationen in vier Krankenhäusern. Wir sprechen mit Josef Theiss, der sich seit fast zwanzig Jahren für Organspenden stark macht.

Herr Theiss, im Juni ist jährlich der „Tag der Organspende“ 1). Was steckt dahinter?
Theiss: Diesen Aktionstag gibt es in Deutschland seit 31 Jahren, weil damals ein Betroffener die Idee hatte, einen Dankgottesdienst zu feiern. Heute wird er teilweise auch in anderen Ländern begangen. Damit verbunden ist ein breites Informationsangebot, natürlich auch mit der Absicht, möglichst viele Menschen zu bewegen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu einer Entscheidung zu kommen.

Bei uns gilt: Wer nicht ausdrücklich zustimmt, dem werden keine Organe entnommen.
Theiss: Es gilt eine „erweiterte Zustimmungslösung“, im neuen Gesetz „Entscheidungslösung“ genannt: Wenn jemand sich nicht selbst entscheidet, müssen die Angehörigen stellvertretend nach seinem mutmaßlichen Willen entscheiden. Das ist auch in der Schweiz so, wohingegen in Österreich die Widerspruchslösung gilt: Ein Organ, Organteil oder Gewebe darf einem Menschen dort entnommen werden, wenn er zu Lebzeiten keinen Widerspruch eingelegt hat. 2)
Weil die Einstellung zur Organspende den Angehörigen aber meist nicht bekannt ist, gibt es in der emotional belasteten Situation nach dem Tod eine sehr hohe Ablehnungsrate. Deshalb ist Information und persönliche Entscheidung wichtig – und das Gespräch miteinander. Das will der Gesetzgeber in Deutschland nun dadurch verstärken, dass er die Krankenkassen verpflichtet, alle Versicherten ab 16 Jahren regelmäßig anzuschreiben.

Wie läuft eine Organspende ab? Wer kommt als Spender in Frage?
Theiss: Außer der Lebendspende, bei der ein gesunder Mensch eine Niere oder einen Teil seiner Leber einem Angehörigen schenkt, kann eine Spende nur nach Hirntod erfolgen. Wenn also jemand an einem Herzversagen stirbt, kann er kein Organspender sein. Denn dann sind die Organe nicht mehr entsprechend versorgt. So kommt von vornherein nur eine relativ kleine Gruppe von Menschen infrage. Von jährlich etwa 900 000 Todesfällen in Deutschland sind etwa 4000 Hirntodfälle. Auf der Warteliste für Organe stehen derzeit etwa 12 000 Menschen, bei etwa 1000 bis 1300 Spendern pro Jahr.
Ansonsten kommt jeder für eine Spende infrage; entscheidend ist der Zustand der Organe und dieser hängt nur bedingt vom Alter ab. Eine Organentnahme wird grundsätzlich ausgeschlossen, wenn beim Verstorbenen etwa eine akute Krebserkrankung oder ein positiver HIV-Befund vorliegen.

Wie kommt es zu einem Hirntod?
Theiss: Meist dann, wenn eine Verletzung eine schwere Schwellung des Gehirns nach sich zieht. Dann kämpfen die Ärzte zunächst um das Leben und darum, diese Schwellung in den Griff zu bekommen. Denn der entstehende Druck verhindert die Durchblutung des Gehirns und das kann zu einer irreversiblen Schädigung führen. Inzwischen werden Kreislauf und Atmung künstlich aufrechterhalten, sodass alle Organe versorgt werden.
Wenn das Gehirn längere Zeit nicht durchblutet wird, funktioniert es nicht mehr, und ein selbst gesteuertes, bewusstes Leben ist nicht mehr möglich. Ein Hirntod wird durch mehrere Untersuchungen diagnostiziert, und erst wenn der medizinische und juristische Tod bestätigt wird, müssen die Ärzte im Gespräch mit den Angehörigen herausfinden, ob eine Organspende infrage kommt. Inzwischen bleibt der Körper jedoch noch an die Maschinen angeschlossen, damit die Organe keinen Schaden erleiden.

Wenn keine Zustimmung vorliegt, ist das also für die Angehörigen nicht einfach.
Theiss: Ja; auch die Ärzte fordert es in einer emotional sehr belasteten Stunde heraus, dieses Thema mit den Angehörigen anzusprechen. Und es herrscht großer Zeitdruck, denn innerhalb von maximal 36 Stunden muss geklärt werden, ob die Angehörigen einer Spende zustimmen. Wenn die nicht wissen, wie die Grundeinstellung des Patienten zum Thema Organspende war, müssen sie rätseln, ob er gewollt hätte, dass jemand mit seinen gesunden Organen noch leben kann. Deshalb ist es wichtig, in der Familie darüber zu sprechen.

Wenn die Frage der Spende geklärt ist, wie geht es weiter?
Theiss: Liegt die Zustimmung vor, beginnt eine weitere, sehr ausführliche Hirntod-Diagnostik. Zwei Ärzte, die mit der Behandlung dieses Patienten nichts zu tun haben, führen unabhängig voneinander viele vorgeschriebene Untersuchungen durch. Besteht in irgendeinem der Diagnosepunkte auch nur der geringste Zweifel, muss das Ganze wiederholt werden. Erst wenn kein Zweifel mehr besteht, gilt der Hirntod als festgestellt und Organe können entnommen werden.
Hier kommt die Deutsche Stiftung für Organtransplantation (DSO) ins Spiel, die einen Koordinatoren schickt, der die organisatorischen Maßnahmen in die Wege leitet. Alle Daten des Spenders werden erfasst, um sie an „Eurotransplant“ zu melden, wo auch alle Wartepatienten mit ihren Daten gemeldet sind, ohne Namen nur mit ihrem Krankheitszustand. Aus den medizinischen Parametern werden je nach betroffenem Organ Punkte errechnet und entsprechend wird man auf der Warteliste eingeordnet. Auf die Warteliste kommt man aber erst, wenn alle anderen medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Gerade wegen des Organmangels setzt man keinen leichtfertig auf die Liste.

Hier kommen die Skandale der letzten Monate ins Spiel.
Theiss: Da ging es um reine Manipulationen von Ärzten an den medizinischen Daten von Patienten. Sie wollten ihnen eine bessere Chance auf der Warteliste geben und haben sie auf dem Papier kränker gemacht, als sie waren. Man weiß zwar nur von vier Kliniken, wo das so war. Aber das geht natürlich auf gar keinen Fall! Denn damit werden andere benachteiligt und Misstrauen in das ganze System verursacht.

Kann man Sicherungssysteme einbauen?
Theiss: Das hatte der Gesetzgeber zunächst versäumt, aber inzwischen wurde nachgebessert und das „Sechs-Augen-Prinzip“ verpflichtend eingeführt: Mehrere Disziplinen beraten nun gemeinsam, wer auf die Warteliste kommen muss. Keiner kann das mehr allein entscheiden.

Noch einmal zurück: Eurotransplant erfährt, dass es ein Organ mit diesen Daten gibt.
Theiss: Dann wird dort ein Computerabgleich gemacht, zu welchem Empfänger die Merkmale dieses Spenderorgans passen. Wenn der mit der höchsten Dringlichkeit ermittelt ist, wird das Transplantationszentrum informiert, das ihn gemeldet hat. Dann beginnt ein Wettlauf mit der Zeit: Falls der Patient noch nicht in der Klinik ist, muss er schnell dorthin kommen; das Organ ist aber noch im Spenderkrankenhaus. Ärzte aus der Empfängerklinik reisen dann dorthin, um das Organ zu untersuchen; erst dann wird es entnommen und zum Empfänger gebracht. Prinzipiell bleiben die Spenden anonym, Empfänger und Spender kennen sich nicht.

Das ist ein sehr aufwendiges Verfahren und sicher mit hohen Kosten verbunden.
Theiss: Die Krankenkassen übernehmen alle Kosten, die des Empfängers und auch der Entnahme und des Transports. Bei der Nierentransplantation etwa ist das eine einfache Rechnung: Ein Patient an der Dialyse kostet jährlich zwischen 60 000 und 90 000 Euro. Eine Nierentransplantation kostet 60 000 bis 80 000 Euro. Auch wenn der Patient ein Leben lang Medikamente gegen die Abstoßung nehmen muss, lohnt es sich ökonomisch. Ganz abgesehen davon, dass man Menschen heilt und Leben rettet.

Wie steht es mit dem Organhandel?
Theiss: Den gibt es zweifellos. Im Internet können Sie viele Angebote finden, etwa aus Moldawien oder Asien. Denn überall, wo ein Mangel herrscht, gibt es leider auch Menschen, die Geld daraus machen wollen. Nach dem deutschen Transplantationsgesetz und auch dem anderer europäischer Länder ist er jedoch per Strafe verboten und auch Patienten, die sich auf illegalem Weg ein Organ verschaffen, handeln gesetzeswidrig.

Was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Theiss: Im Moment sind viele Menschen verunsichert; Angehörige haben kein Vertrauen mehr, und es gibt einen Rückgang von 18 Prozent an Organspenden. Wir hoffen, dass jeder, der den Brief von seiner Krankenkasse bekommt, ihn nicht zur Seite legt. Wenn er dann entschieden ist, sollte er nicht nur den Ausweis ausfüllen, sondern auch in seiner Patientenverfügung einen entsprechenden Vermerk machen und seinen Angehörigen sagen, ob er ja oder nein angekreuzt hat. Damit erspart er der Familie viel Kummer. Oft hilft es bei der Entscheidung, sich zu fragen, was man selbst möchte: Wenn ich möchte, dass mein Leben im Ernstfall durch eine Organspende gerettet wird, sollte ich auch bereit sein, meine Organe zur Verfügung zu stellen.

Vielen Dank für das informative Gespräch.
Gabi Ballweg

1) Am 1. Juni in Essen.
2) Sämtliche Transplantationszentren in Österreich sind verpflichtet, vor einer geplanten Organentnahme das Vorliegen eines Widerspruches im sogenannten Widerspruchregister zu prüfen. Wer eine Organentnahme ablehnt, muss einen Widerspruch schriftlich dokumentieren. Außerdem sollte man sich im sogenannten „Widerspruchregister gegen Organspende“ eintragen lassen. Das gilt auch für Ausländer, die in Österreich Urlaub machen.

Josef Theiss,
Jahrgang 1940, ist Vorstandsmitglied  im Betroffenenverband Lebertransplantierte Deutschland e.V. und Mitglied im „Aktionsbündnis Organspende Baden-Württemberg“. Er betreut Betroffene, begleitet Ansprechpartner und informiert durch Vorträge, Schulungen, Podiumsdiskussionen. Herr Theiss bekam 1988 die Diagnose einer chronischen Virushepatitis und Lebertumor (HCC) und erhielt 1994 ein Organ transplantiert.

Informationsmöglichkeiten

Deutschland:
Infotelefon Organspende: 0800 90 40 400
www.organspende-info.de 
www.dso.de
www.fuers-leben.de

Schweiz
www.transplant.ch/fakten.html 
www.swisstransplant.org/l1/

Österreich
www.goeg.at/de/Berichte-Service/Widerspruch.html

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juni 2013)
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