15. April 2014

Der Paralympische Geist

Von nst1

Offener Brief an: Karl Quade, Vizepräsident im Deutschen Behindertensportverband

Sehr geehrter Herr Quade,

ich gestehe, dass ich bisher nur wenig Berührungspunkte mit dem Behindertensport hatte. Erfreulicherweise berichten die Medien in den letzten Jahren aber immer ausführlicher über die Paralympics – so wie kürzlich aus Sotschi – so dass sie nach und nach kein Schattendasein mehr zu führen brauchen.
Sie haben – mit einer Fehlbildung am linken Fuß von Geburt an – selbst dreimal an Paralympischen Spielen teilgenommen, haben 1988 in Seoul eine Goldmedaille mit dem deutschen Standvolleyball-Team gewonnen und waren nun bei den Olympischen Winterspielen in Russland bereits zum zehnten Mal Chef de Mission der deutschen Mannschaft. Aber erst jetzt bin ich durch die Berichterstattung auf Ihren langjährigen und vielfältigen Einsatz für den Behindertensport aufmerksam geworden.

Die Fernsehbilder haben mich an Erlebnisse bei der Paralympics Revival 1997 in Duderstadt erinnert, über die ich berichten durfte: Unvergessen die Interviews mit Sportlern von China bis Australien, deren wohltuende Ausgewogenheit zwischen Ehrgeiz und Fairness; die ausgefeilten Hightech-Prothesen, die körperliche Handicaps ausgleichen; die Sprungtechniken einbeiniger Hochspringer, die auf technische Hilfen verzichteten; das begeisterte, nicht nur mit den Siegern bewegend solidarische Publikum…
Seitdem hat sich vieles weiterentwickelt, und das ist auch Ihrem Engagement zu verdanken. Wie können Wettkämpfe zwischen Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen gerecht sein? Sie haben sich für eine transparente Klassifizierung eingesetzt. Sie leiten den Fachbereich Forschung und Entwicklung beim Bundesinstitut für Sportwissenschaften: Auch dank Ihrer Arbeit und der Ihres Teams haben sich Training und Qualifizierungen verbessert. Nicht zuletzt erleben die Leistungssportler nach persönlichen Niederlagen in den Wettkämpfen Sie als Vaterfigur, der Ihnen Mut macht und sie aufrichtet!

Es ist eigentlich traurig, dass mir –  wie vielen anderen auch – der Sport von Menschen mit Handicap noch immer wie eine Parallelwelt erscheint. Und ich möchte daher das Augenmerk mit diesen Zeilen genauso auf die Sportler selbst lenken, die Teams, die hinter ihnen stehen, Trainer und Betreuer, Förderer und Fans: alle, dank derer dieser Sport möglich ist, durch die Menschen ihre Fähigkeiten, Leistungen und Grenzen austesten und erweitern können, und die mit dafür sorgen, dass er immer mehr zu einem sichtbaren Teil unserer Gesellschaft wird, der ganz selbstverständlich dazugehört wie andere Bereiche auch. An sie alle ein Wort des Dankes für ihren wertvollen Dienst!

Längst arbeiten die meisten Paralympischen Athleten gemeinsam in Trainingsgruppen mit Sportlern aus dem olympischen Bereich. Ein weiterer, Schritt in Richtung Gleichbehandlung, den ich mir für die Zukunft wünschen würde: die Olympischen und die Paralympischen Spiele nicht zeitlich getrennt, sondern zusammen stattfinden zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Behr
Redaktion NEUE STADT

Unser offener Brief wendet sich an Karl Quade, 59, promovierter Sportwissenschaftler und Vizepräsident Leistungssport beim Deutschen Behindertensportverband mit 650 000 Mitgliedern. Seit 1996 ist Quade bei den Paralympischen Sommer- und Winterspielen „Chef de Mission“, was Aufgaben der Organisation, Repräsentation und Öffentlichkeitsarbeit beinhaltet.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2014)
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