10. März 2015

„Wir haben mehr zu teilen!“

Von nst1

„Stark, zerbrechlich, liebevoll, ungeschminkt, erdverbunden, offen, neugierig, ungezähmt, verletzlich“, so beschreibt sie ein Freund:  Meike Münz war zehn Jahre lang freie Mitarbeiterin dieser Zeitschrift. Am 3. Januar starb sie mit nur 32 Jahren.

Mitte 2004 erschien ihr erster Beitrag in der NEUEN STADT. Seitdem beobachtete Meike Münz für uns die Musikszene, besprach CDs und Trends, stellte Bands und Stilrichtungen vor. Anfangs studierte sie in Bonn Musikwissenschaft, BWL und Politik und arbeitete „nebenbei“ 18 Stunden die Woche im Archiv des WDR. Schon Vater und Großvater waren musikbegeistert; sie lernte Klavier und Querflöte und brachte sich Gitarrespielen bei. Nicht allein Musik war ihre Welt: Sie verfasste auch spannende Reportagen zu anderen Themen. Für unser Magazin zu schreiben, mache ihr richtig Spaß, schrieb sie einmal, „weil mich Leser immer wieder auf meine Rezensionen ansprechen und ich so mit vielen Leuten in Dialog treten kann.“ Angst, sich mit ihrer Meinung auszuliefern und dafür kritisiert zu werden, hatte sie nicht. Eng mit der Redaktion verbunden, brachte sie Kritik ein und Ideen wie den Facebook-Auftritt der NEUEN STADT.

Fünf Jahre lang lebte Meike mit anderen jungen Frauen in einer WG in Köln. „Wir kannten uns seit dem zehnten Lebensjahr und haben uns immer gut verstanden“, erzählt eine von ihnen, Lisa Weber. „Aber als wir, zwanzigjährig, mit Julia und Manuela zusammenzogen, wurden wir wie Schwestern.“ Karneval, WG-Abende, Partys: Mit Meike konnten sie Spaß haben und das Leben genießen. Aber tiefe Gespräche waren genauso drin über das, was Freundschaft ausmacht, was wichtig ist im Leben, ihre Beziehung zu Gott. „Ich trinke gern mit euch Kaffee, aber wir haben mehr zu teilen!“ – für Lisa ein Schlüsselsatz von Meike. Gedanken, Erfahrungen, Freuden und Sorgen, das Innerste konnten die Mädels einander sagen und miteinander tragen.

2006 startete die in der Toskana ansässige Band Gen Rosso in Deutschland die Initiative „Stark ohne Gewalt“. Zusammen mit dem gerade gegründeten Verein „Starkmacher“ gingen sie auf Tournee und erarbeiteten an Schulen mit Jugendlichen die Aufführung eines Musicals. „Meike war von Anfang an dabei und bot sich als ehrenamtliche Helferin an“, erinnert sich Mathias Kaps vom Starkmacher-Team. Meike kannte die Bandmitglieder und übersetzte vom Italienischen ins Deutsche: „Die Jugendkultur war ihr vertraut und sie hatte eine geniale Art, den Schülern die Botschaft des Musicals nahezubringen“, meint Mathias Kaps: „dass Gewaltverzicht innere Stärke erfordert und die menschlichen Beziehungen zählen.“ Die intensiven Projektwochen brachten die Jugendlichen leicht an ihre Grenzen. „Meike konnte sich super auf sie einlassen und sie motivieren, sodass sie sich nicht überfordert fühlten“, so Kaps.

Ähnlich großzügig war Meike 2013 bei der Entstehung der „Fazenda da Esperança“, einer Lebensgemeinschaft für Drogenabhängige, die von ihrer Sucht loskommen wollen, in Boppard. Mit Volker Dornheim, der den „Hof der Hoffnung“ aufbauen sollte, war sie seit ihrer Jugendzeit befreundet. „Egal was ihr braucht, ich helfe euch“, sagte sie, als sie von den Plänen erfuhr. Für die soziale Einrichtung unweit ihres Geburtsortes Lahnstein bei Koblenz zapfte sie alte Kontakte an, vermittelte Handwerker, animierte Freunde und Bekannte, die Fazenda und ihre Bewohner zu unterstützen. Unvoreingenommen auf Leute zugehen, in peinlichen Situationen „das Eis brechen“, das war Meike, sagt Volker Dornheim: „Ihre bloße Anwesenheit gab mir ein Gefühl von Geborgenheit und Zuhause“. Und Christian Heim, ebenfalls Leiter einer Fazenda, schreibt: „Ein begeisternder, großartiger Mensch – groß, aber nicht artig. Sie war lebensfroh, echt, ehrlich, frisch, irgendwie gegen den Wind gebürstet und mit einer Grundsehnsucht nach Leben. Es lohnt sich zu leben wegen solcher Menschen!“

Jens Papies arbeitete 2010 wie Meike in Köln für die Fernsehproduktion „Das Supertalent“ bei der Fernsehproduktionsgesellschaft UFA Show & Factual, damals Grundy Light Entertainment. Sie verstanden sich gut, trafen sich in der Kaffeepause oder zu Unternehmungen in der Freizeit. „Sie hatte eine unglaubliche Präsenz“, erinnert sich Jens. „Vom ersten Moment an hatte ich das Gefühl, sie ist hundert Prozent bei mir, hört zu, geht auf mich ein, ist ganz für mich da. So verhielt sie sich allen gegenüber.“ Meike und Jens wollten heiraten.

Gegen Ende 2013 bekam Meike immer häufiger starke Kopfschmerzen. Jens bemerkte Auffälligkeiten, die ihn an einen Schlaganfall denken ließen. Bis sie Anfang 2014 einen Termin beim Neurologen bekamen, wurden die Symptome schlimmer; Meike musste sich häufig übergeben. Gehirntumor! Die Diagnose zog ihnen den Boden unter den Füßen weg. Als die Biopsie „bösartig und inoperabel“ ergab, war klar, dass Meike nicht mehr lange leben würde. „Wir hatten einen Hochzeitstermin im Mai“, erzählt Jens. „Meike wollte das Geschäft ihres Vaters übernehmen, ein Kerzencenter, wir wollten Kinder bekommen, ein Haus bauen: Alle Pläne zerstört! Wir mussten unsere Lebenssituation komplett neu überdenken.“

Die Idee, die Heirat mit Meike in Frage zu stellen, kam ihm jedoch nie. „Wir hatten uns verlobt“, sagt Jens, „hatten entschieden, unseren Weg zusammen zu gehen; alles, was kommt, gemeinsam anzupacken. Dann kannst du nicht beim ersten Problem, das auftaucht, sagen, jetzt gilt das nicht mehr!“

Volker Dornheim schenkte den beiden zur Hochzeit einen jungen Baum. Im Hinterkopf hatte er das Martin Luther zugeschriebene Zitat: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich noch heute ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Das passt für ihre Ehe, fand er: „Denn euch ist egal, wie viel Zeit euch bleibt. Ihr habt den Mut, das Bäumchen eurer Liebe zu pflanzen!“ Das Apfelbäumchen setzten sie auf dem Fazenda-Gelände.

Jens nahm Meikes Nachnamen an. Beide akzeptierten die Krankheit mit ihren Schmerzen und Tücken. Meike zeigte kaum noch große Gefühlsausschläge: Weder Jubel, noch Trauer, noch Angst. Aber Jens hat Momente vor Augen, wo sich das löste: „Kurz vor der Hochzeit hat sie mal wieder gelächelt und ich hab die Freude in ihren Augen gesehen. Das hielt an, bis es im September wieder schlimmer wurde. Die Flitterwochen verbrachten wir in einer Gegend, wo Meike seit ihrer Kindheit Schiurlaub gemacht hatte. Das war im Sommer und sie sagte: ‚Wir müssen hier unbedingt mal wieder Schifahren!’ Als ich bezweifelte, dass sie nochmal Schi fahren könnte, fing sie bitterlich zu weinen an.“

In den letzten Monaten bekam Meike viel Besuch. Isolde Böttger, mit der sie eng vertraut war, erzählt von zunehmenden Gedächtnislücken und abnehmendem Augenlicht.

Dennoch behielt Meike ihren Humor und ihre trockenen Kommentare. Auf die Frage, ob sie die Liebe Gottes spüre, antwortete sie: „Ja klar, ohne die würde ich das nicht schaffen!“

Die Beerdigung in Vallendar nahe bei ihrem Geburtsort war ein großes Fest voller Trauer, Dankbarkeit und Zuversicht. Freundinnen und Freunde bezeugten, was sie Meike verdankten und was sie ihnen bedeutete. „Für mich hört die Existenz eines Menschen mit dem Tod auf“, sagt Jens Münz. „Was bleibt, sind Erinnerungen, die mich ständig begleiten. Und all das, was sie bewirkt hat: in mir, in vielen anderen, durch ihr Tun und ihre Art, durch ihr Leben.“
Clemens Behr

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2015)
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