21. April 2016

Beginn eines gemeinsamen Weges?

Von nst1

Das historische Treffen eines russisch-orthodoxen Patriarchen und eines römischen Papstes am 12. Februar in Havanna hat für Aufsehen und viele Kommentare gesorgt. Der russisch-orthodoxe Mönch Giovanni Guaita bewertet für uns die Begegnung.

Die Begegnung von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. am 12. Februar in Havanna wird zweifellos in die Geschichte eingehen. Die erste Umarmung eines Oberhaupts der russischen Kirche mit dem Papst von Rom fand in einer fast surrealen Umgebung statt: weit weg von Moskau und Rom auf der anderen Seite des Globus, in einem der letzten noch verbliebenen kommunistischen Länder der Welt und in einem trostlosen Zimmer eines Flughafens, dem noch der Mief der Sowjetzeit anhaftete. Kurzfristig angekündigt und blitzschnell innerhalb einer Woche umgesetzt, folgte das Treffen einem betont säkularen Protokoll. Ohne gemeinsames Gebet oder einen Segen glich es dem Gipfeltreffen zweier Staatschefs: Grüße, privates Gespräch und die Vorstellung der beiden Delegationen vor den Flaggen. Einzige religiöse Zeichen dabei: ein Kruzifix und eine Ikone der Gottesmutter, die aus Russland gebracht worden waren.
Die Gründe für eine solch „minimalistische“ Gestaltung liegen in der pastoralen Vorsicht, das heißt: im Versuch des Moskauer Patriarchats, schon im Vorfeld negativen Reaktionen von intrigierenden und antiökumenischen Gruppierungen aus den eigenen Reihen vorzubeugen oder diese zu minimieren. Diese Vorsicht Moskaus wurde von Rom akzeptiert.
Der Papst und der Patriarch haben eine „Gemeinsame Erklärung“ unterzeichnet, die sehr unterschiedliche Themen anspricht: der Einsatz für verfolgte Christen im Nahen Osten und Nordafrika; die Verurteilung des Terrorismus und aller Versuche, Gewalt religiös zu rechtfertigen, des „aggressiven Säkularismus“, der Diskriminierung von Gläubigen, des wachsenden Wirtschaftsgefälles. Die beiden Kirchen erinnern Europa an seine christlichen Wurzeln, unterstreichen die Bedeutung der christlichen Moral, der Ehe und der Familie und des Schutzes des Lebens von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende. Die beiden Kirchenoberhäupter verurteilen den „Proselytismus“ 1); sie stufen den „Uniatismus“ 2) als ungeeignet auf dem Weg zur Einheit unter den Christen ein; gleichzeitig gestehen sie bestehenden Kirchen – auch denen, die aus dem Uniatismus hervorgegangen sind – ein Existenzrecht zu und folglich das Recht, Seelsorgestrukturen aufzubauen. Schließlich äußern sie Bestürzung über den anhaltenden Konflikt in der Ukraine und über die Spaltung der Orthodoxen des Landes und drängen ihre Gläubigen, alle Anstrengungen zu unternehmen, dieser Situation ein Ende zu bereiten.
Aus der Sicht der kirchlichen Diplomatie ist die Erklärung ein Beispiel seltener Ausgewogenheit. Damit lässt sie allerdings Raum für die unterschiedlichsten Auslegungen. So sagen die einen, dass Patriarch Kyrill auf ganzer Linie eingeknickt sei, weil er auf die traditionellen Vorwürfe gegenüber den Katholiken verzichtet hat; andere meinen im Gegensatz dazu, dass Franziskus auf alle Forderungen und Launen Moskaus eingegangen sei; die einen sahen in der Begegnung und der Vermittlung der beiden Castro-Brüder eine Kapitulation Kubas, das sich von der „Insel der Freiheit“ zu einer Filiale des Vatikanischen Staatssekretariats gewandelt habe oder zur Sommer-Datscha des Patriarchen. Kurz: Das Treffen und die Erklärung, obwohl noch nie da gewesen und historisch, seien der Triumph eines kirchlichen Pragmatismus, einer „schwachen Denkweise“, die ökumenisch, zweckdienlich und unwesentlich sei und einen feinen postmodernen Beigeschmack habe.

Die Fakten können jedoch auch ganz anders gedeutet werden. Papst und Patriarch haben nicht zusammen gebetet. Aber die von ihnen unterzeichnete Erklärung hat keinerlei Ähnlichkeit mit der Vereinbarung zwischen Politikern.

Sie ist ein spiritueller Text, in dem sowohl der Schmerz der Trennung wie auch die Hoffnung auf die Wiederherstellung der vollen Einheit zum Ausdruck kommen; man bekräftigt die Zusammengehörigkeit in der gemeinsamen Tradition und drängt Orthodoxe und Katholiken dazu, „in der Verkündigung der Frohen Botschaft brüderlich zusammenzuarbeiten“, und „gemeinsam Zeugnis zu geben für den Geist der Wahrheit.“
Der schöne religiöse Text ist vom Geist des Gebets durchwoben; er beginnt und endet mit der trinitarischen Doxologie, der betenden Anrufung des Namens Gottes. Für das gemeinsamen Engagement von Katholiken und Orthodoxen erbitten Papst und Patriarch den Beistand des Gottes und stellen sich unter den Schutz der „Allerseligsten Gottesmutter“. Sowohl Patriarch als auch Papst haben in den improvisierten Reden im Anschluss an die Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung“ den Namen des einen und dreifaltigen Gottes angerufen.
Franziskus unterzeichnete das Dokument als „Bischof von Rom, Papst der katholischen Kirche“, und wählte so unter all seinen Titeln jenen, der aus Sicht der orthodoxen Ekklesiologie absolut korrekt ist und den er seit seiner ersten Rede direkt nach der Wahl verwendet hat. Er stellte sich ausdrücklich mit dem Patriarchen auf eine Ebene: „Wir sprechen als Brüder miteinander, wir haben dieselbe Taufe, wir sind Bischöfe.“
Der Papst sagte im Namen des Patriarchen: „Wir stimmen darin überein, dass sich die Einheit im Unterwegssein bildet.“ Und das einzig religiöse Symbol in der Flughafen-Lounge von Havanna war eine große Ikone der „Hodegetria“: der Muttergottes, die den Weg weist.
Wird das Treffen von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill auf Kuba in die Geschichte eingehen als Ausdruck eines kirchlich postmodernen Pragmatismus? Oder wird es den Beginn eines gemeinsamen Weges von Katholiken und Orthodoxen markieren? Zum großen Teil hängt das nun von uns – den Gläubigen – ab.
Giovanni Guaita

1) das Abwerben von Gläubigen aus anderen Kirchen mit unlauteren Methoden
2) die Schaffung oder Abwerbung von Kirchen, die den Papst anerkennen, aber den östlichen Ritus und das östliche Kirchenrecht beibehalten

Giovanni Guaita
1962 in Sardinien geboren, studierte Literatur und Sprachen in Genf und Cagliari und machte mehrere Studienreisen nach Moskau und St. Petersburg. Seit 1989 lebt er in Moskau und lehrte dort an verschiedenen staatlichen Universitäten. Seit April 2009 arbeitet Guaita in der Abteilung für Außenbeziehungen der russisch-orthodoxen Kirche, speziell für die Beziehungen zu anderen christlichen Kirchen. Am 28. März 2010 wurde er von Metropolit Hilarion zum Diakon geweiht, am 11. September zum Priester. Am 31. Oktober legte er die Mönchsgelübde ab.
Guaita lernte in seiner Jugend die Fokolar-Bewegung kennen und lebt aus der Spiritualität der Einheit.

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2016)
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