16. Mai 2019

Lästern: ein Laster?

Von nst5

Wer hinter deren Rücken über andere herzieht, lässt Dampf ab und hält sich selbst für besser. Schlecht über jemanden reden stärkt unter den “Lästermäulern“ das Zusammengehörigkeitsgefühl. Aber welche Folgen hat es für sie selbst und ihre Beziehung zur betreffenden Person? Wie Lästern vermeiden, auch wenn die Kritik und der Ärger dahinter berechtigt sein mögen?

Gertrude Pühringer
Lehrkraft Wirtschaftsfächer, Engerwitzdorf/Linz
Vor einigen Jahren hörte ich den weisen Satz: „Ich will über meine Mitmenschen nur so sprechen, dass sie dabei gegenwärtig sein könnten.“ Er ist mein Vorsatz geworden. Denn ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich schlecht über andere spreche oder mitschimpfe, wenn über jemanden „hergezogen“ wird. Im Grunde finde ich das gemeinsame Lästern aber ungerecht. Außerdem merke ich, dass sich dadurch ein negatives Gefühl der betroffenen Person gegenüber verfestigt. Treffe ich sie dann, fällt es mir schwer, ihr die Chance zu einer positiven Veränderung zu geben. Wenn ich mich so richtig über jemanden ärgern muss, hilft es mir viel mehr, wenn ich meinen Ärger einer vertrauten Person erzählen kann, bei der ich mir sicher bin, dass sie es nicht weitererzählt. Es befreit und tut manchmal gut, Dampf abzulassen.
Besonders wertvoll erlebe ich Momente, in denen ich Verhaltensweisen einer Person, die mich verletzen oder ärgern, mit ihr selbst besprechen kann. Mit meinem Mann zum Beispiel gönnen wir uns immer wieder ganz bewusst Zeit, um uns in aller Ehrlichkeit und mit viel Liebe zu sagen, welche Verhaltensweisen uns am anderen stören und natürlich auch jene, an denen wir uns tagtäglich erfreuen.Schön, wenn dies mit jedem Menschen möglich wäre!

Ulrich Busch
Diplom-Psychologe, Weilrod
Lästern wird von vielen Menschen als großes Ärgernis empfunden. Was als Spott beginnt, kann schnell zu übler Nachrede und Rufschädigung führen, zu Mobbing und Ausgrenzung; – und sogar in den Selbstmord treiben. Warum lästern Menschen, wenn es doch so schädlich sein kann? Gut ein Drittel aller Gespräche haben abwesende Personen zum Thema. Je kleiner der Ort oder die Gruppe, desto mehr wird gelästert. Das erfüllt mehrere Funktionen. Einmal stärkt es automatisch den Selbstwert, wenn man andere abwertet. Auch eine Gruppe mag sich besser fühlen, wenn schlecht über andere geredet wird. Das schlechte Gewissen meldet sich erst später: War es recht oder ihrem Verhalten angemessen, die betroffene Person auszugrenzen?
Viel wichtiger ist sicherlich die Warnfunktion: zum Beispiel aufmerksam machen auf Leute, die beim Kartenspiel oder in einem Arbeitsverhältnis betrügen. Hier wird über jemanden negativ geredet, der der Gemeinschaft schadet. Gerade in einer kleinen Gruppe, einem kleinen Ort ist das Bedürfnis groß, über andere etwas zu erfahren, um sich vor möglichen schlechten Entwicklungen zu schützen. – Nicht jedes „Lästern“ muss also schädlich sein. Wie immer kommt es auf die innere Haltung an. Man kann auch nachteilige Seiten der Mitmenschen mit Wohlwollen ansprechen.

Günter Wollinger
Lehrer i. R., Schöllkrippen
Lästereien können auf Vorurteilen beruhen. Einmal riet mir ein Freund: „Wenn in dir negative Gedanken jemandem gegenüber hochkommen, bete doch für ihn oder schick ihm einen Segen.“ War ich allein, klappte das ganz gut. Aber stand ich mit anderen zusammen, die über einen herzogen, war der Vorsatz bald vergessen. Manchmal brachte ich eine positive Eigenschaft ins Gespräch. Die wurde jedoch schnell niedergebügelt. Mir fiel plötzlich auch viel Negatives über die Person ein. Ein eigenartiges Gemeinschaftsgefühl entstand. Aber im Nachhinein ärgerte ich mich, nicht bekannt zu haben, dass ich nicht schlecht über andere reden möchte. Ich fand keinen zufriedenstellenden Weg, mich hier konsequent zu verhalten.
Vor Kurzem kam mir der James Bond-Film „Lizenz zum Töten“ in den Sinn. Sind meine Vorurteile nicht auch eine Waffe zum Verletzen, Krankmachen, Töten? Zwar fließt kein Blut, aber es fallen Worte wie: „Der ist für mich gestorben!“ oder „Er kann mir gestohlen bleiben!“ Ich erschrak und wünschte mir von Gott die „Lizenz zum Lieben“. Er sollte stattdessen alle Vorurteile in meinem Herzen, meiner Seele, meinem Kopf löschen. Und immer, wenn sie doch in mir aufsteigen, sage ich ihm: „Ich habe dir meine Vorurteile geschenkt; ich möchte sie nicht mehr.”

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai/Juni 2019)
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