7. April 2021

Bereit, von anderen zu lernen?

Von nst5

Cecília Mosca Spatz lebt seit 28 Jahren in Deutschland. Heute fühlt sie sich wohl, aber die ersten Jahre waren hart für sie.

Wir haben damals bewusst in Brasilien geheiratet, sodass auch die Angehörigen meines Mannes aus Deutschland dabei sein und meine Lebensverhältnisse kennenlernen konnten. Denn in Europa vermuten viele schnell: Die will mit einer solchen Ehe doch nur ihrer Armut entfliehen!
Anfangs war es nicht leicht, in Deutschland zurechtzukommen. Ich habe die Wärme vermisst. Nicht nur vom Wetter her, sondern auch menschlich. Auch Diskriminierung habe ich erlebt. Einmal hatte ich mit meinem Mann eine Freundin besucht und wir waren Essen gegangen. Der Besitzer des Restaurants sagte etwas auf Dialekt zu meinem Mann, das ich nicht verstand, weil ich nur Hochdeutsch konnte. Ich wusste nicht, was los war, aber meine Freundin und mein Mann reagierten aufgeregt und empört. Später erzählten sie, der Besitzer hatte meinen Mann gefragt, wie viel er denn für mich bezahlt hätte.
Was ich immer noch zu hören bekomme: Wann fährst du wieder mal nach Hause? Wie oft besuchst du deine Heimat? – Aber ich bin doch schon so lange hier! Deutschland ist meine Heimat. Hier bin ich zu Hause! Das geht wohl über ihre Vorstellungskraft. Für sie gehöre ich offenbar doch nicht richtig dazu. Denn sie könnten ja einfach fragen: Wie oft fährst du nach Brasilien?
Die deutsche Staatsbürgerschaft hätte ich schon früher beantragen können. Aber erst als ich angefangen hatte, Sozialarbeit zu studieren und mir Gedanken über meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu machen, sah ich darin für mich einen Vorteil. Leute, die wie ich aus einem sogenannten Drittstaat stammen, also nicht aus dem Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, stehen ganz hinten in der Kette. Wenn ich also schon Zeit und Geld in ein Studium stecke, wollte ich auch mehr Aussicht auf einen Job haben. So habe ich seit 2013 neben der brasilianischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit, nachdem ich die Gebühr bezahlt, Sprachniveau B2 nachgewiesen und den Einbürgerungstest bestanden hatte. Auf diesen Test bereitet man sich mit 310 Fragen zu Lebensverhältnissen, Politik, Rechts- und Gesellschaftsordnung vor. Manche davon können selbst viele Deutsche nicht auf Anhieb beantworten.
Das Schlimmste für Bürgerinnen und Bürger aus „Drittstaaten“ ist, dass die Berufsausbildung und der Studienabschluss meistens nicht anerkannt werden. Ich hatte in Brasilien Geschichte auf Lehramt studiert. Das war nichts wert. Das ist sehr demütigend und schwer zu verkraften. Auch vielen meiner ausländischen Klientinnen ergeht es so, die gut ausgebildete Frauen sind. Damit vergibt sich Deutschland eine große Chance! Es ist schade, dass in Europa der Gedanke noch so verwurzelt ist, dass Menschen von anderswo nicht das gleiche Wissen haben. Vielleicht ist ihr Wissen anders, aber nicht minderwertig. Ich würde mir die Bereitschaft wünschen, von denen zu lernen, die zu uns kommen. Sie können ihren Beitrag geben! Wir könnten voneinander lernen und uns gegenseitig bereichern.

Foto: privat

Cecília Mosca Spatz
kam 1965 in Natal im Nordosten Brasiliens zur Welt. 1990 lernte sie bei einem Aufenthalt in Deutschland ihren künftigen Mann kennen. Nach der Hochzeit 1993 in Brasilien kam sie zu ihm nach Nürnberg und lebt seitdem in Bayern. Heute leitet sie das für Frauen und Kinder mit Migrationshintergrund ausgerichtete Projekt „Lebenswirklichkeit in Bayern“ vom Sozialdienst Katholischer Frauen in Aschaffenburg. Seit 2013 hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2021)
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