5. April 2022

Wie tickt die Generation Klima?

Von nst5

Beim Thema Klimaschutz

meldet sich eine ganze Generation laut zu Wort. Was sie beschäftigt und warum wir gut zuhören sollten.

Etiketten helfen bei der Orientierung. Im Idealfall erlauben sie schnell und zuverlässig einen Überblick über Inhalt, Preis und Besonderheiten. Je knapper und übersichtlicher sie gestaltet sind, umso besser kann man sie erfassen. Und Einordnung ist nicht nur im Supermarkt wichtig. Auch in vielen Situationen unseres komplexen Alltags ist sie hilfreich.
„Generation X“, „Generation Y“, „Generation Z“ – auch das sind Etikettierungen. Soziologische. Sie beschreiben junge Menschen bestimmter Geburtenjahrgänge, ihre Lebensumstände und Haltungen genauso wir ihre Sorgen und Ängste. Wie „Babyboomer“ die Jahrgänge 1946 bis 1964 charakterisiert, so sind mit „Generation Z“ die zwischen 1995 und 2012 Geborenen gemeint. Dazwischen liegen „Generation X“ (1965 – 1979) und „Generation Y“ (1980 – 1994). Auch wenn die Jahreszahlen je nach Quelle und Perspektive leicht abweichen, steht dahinter der Grundgedanke, dass Menschen durch historische Ereignisse, Umbrüche oder Herausforderungen geprägt werden. Dabei kann sich ein generationenspezifisches Lebens- und Weltgefühl einstellen. Die Zeit zwischen 15 und 25 Jahren ist – so Wissenschaftler unterschiedlicher Bereiche – vor allem im Blick auf gesellschaftliche und politische Einstellungen besonders prägend.
Welche Erfahrungen prägen also Jugendliche heute? Dieser Frage widmet sich seit 1953 eine in Deutschland regelmäßig im Vierjahresturnus durchgeführte Studie. Die sogenannte Shell-Jugendstudie gilt als verlässlicher Gradmesser für die Stimmungen und Strömungen junger Menschen. 2019 unterstreicht sie: Die jungen Menschen sorgen sich deutlich mehr um den Schutz der Erde als um den eigenen Lebensstandard.
„Viel zu lang ist viel zu wenig geschehen.“ Das ist auch die Botschaft, die vor allem in Greta Thunberg ein Sprachrohr fand. Am 20. August 2018 platzierte sich die damals 15-Jährige mit dem Schild „Schulstreik für das Klima“ vor dem Schwedischen Reichstag in Stockholm. Die Initiative „Fridays for Future“ nahm ihren Lauf – über Länder und Kontinente hinweg. Sie wurde zum Symbol einer ganzen Generation, so sehr, dass manche das Label „Generation Z“ in „Generation Greta“ oder „Generation Klima“ ändern. Diese jungen Leute gehen auf die Straße, engagieren sich in Parteien, Verbänden für einen anderen Umgang mit unserer Umwelt und unseren Ressourcen. Sie scheuen auch vor großen Bühnen nicht zurück: Bei den Vereinten Nationen und dem Weltwirtschaftsforum in Davos etwa suchen sie Gespräche mit Politikerinnen und Politikern.
„Eine Generation meldet sich zu Wort.“ Der Titel der Shell-Jugendstudie 2019 verwundert vor diesem Hintergrund nicht. Die junge Generation meldet nachdrücklich eigene Ansprüche an. Umweltschutz und Klimawandel bilden Kristallisationspunkte: Daran zeigt sich die Forderung nach Mitsprache wie auch die Aufforderung zum Handeln, die sie an die älteren Generationen richtet.
Etikettierung ist hilfreich. Aber Details haben meist keinen Platz. Ein genauerer Blick zeigt auch bei der „Generation Klima“ ein differenziertes Bild. Setzt etwa „Fridays for Future“ mit Schulstreiks auf öffentliche Aufmerksamkeit, um Forderungen nach Klimagerechtigkeit und die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels anzumahnen, so bilden sich im Schatten dieser Initiative auch andere Gruppen heraus: Die Aktivisten von „Extinction Rebellion“, kurz XR, (dt. „Rebellion gegen das Aussterben“) wollen mit Mitteln des zivilen Ungehorsams (Sitzblockaden, Ankettungsaktionen, Flashmobs, Hungerstreiks) Druck auf politische Entscheidungsträger ausüben. Und das Bündnis „Ende Gelände“, das unter anderem Großaktionen in Braunkohlerevieren organisiert, vereint nach eigenen Angaben „Menschen aus vielen verschiedenen sozialen Bewegungen“der Anti-Atom- und Anti-Kohlekraft-Bewegung. Sie nehmen in Kauf, dass auch radikalisierende Gruppen sich anschließen.

Foto: (c) NikiLitov (iStock)

Umweltschutz als Passion einer ganzen Generation. Es ist eindrucksvoll, wie es den Aktivistinnen und Aktivisten gelingt, die Mitmachbereitschaft vieler zu sichern und die Professionalisierung voranzutreiben. Dennoch: Auch hier trifft das Etikett zwar die Grundstimmung dieser Jahrgänge; inwieweit sich das aber als gesellschaftsprägende und politische Kraft herausbilden wird, bleibt abzuwarten. Dabei werden auch andere Eigenschaften, wie sie die Studie von 2019 nachweist, eine Rolle spielen. So zeigen sich viele überrascht, wie sehr die junge Generation sich Leistungsnormen zu Eigen gemacht hat. Selbst im Engagement für den Klimaschutz. Wie sich das auswirken wird, wenn die jungen Menschen im Berufsleben stehen, kann im Moment kaum jemand vorhersehen. Auffällig auch, wie sehr sich die Generation durch eine Grundtoleranz gegenüber anderen Lebensformen und Orientierungen auszeichnet. Die Generationenkluft scheint nicht so groß, wie man manchmal meint. Denn auch bei älteren Geburtsjahrgängen ist die Umweltthematik auf der politischen Agenda nach oben gerutscht. Die Jungen können Treiber und Motor sein, so ganz über Kreuz liegen sie mit den Älteren aber nicht.
Damit das so bleibt und wirklich fruchtbar werden kann für die Zukunft, ist es unbedingt notwendig, die Jugend anzuhören, sie ernstzunehmen. Sie haben ein sehr berechtigtes Anliegen. Es geht um ihre Zukunft. Das gilt vielleicht sogar noch mehr nach Corona. Die Pandemie traf zwar alle gleichermaßen, aber in keiner Gruppe war die Diskrepanz zwischen individuellem Gesundheitsrisiko und Freiheitseinschränkung so groß wie bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Ihnen wurde viel zugemutet und sie haben nur wenig Anerkennung und Unterstützung bekommen. Wie sich diese Erfahrung auf ihre politischen und gesellschaftlichen Einstellungen auswirkt, bleibt abzuwarten. Wie sie reagieren, wenn sie weiterhin erleben müssen, dass sie bei wichtigen Zukunftsentscheidungen nicht einbezogen werden, kann keiner voraussehen. Aber etwas dafür tun, dass sie sich wahr- und ernstgenommen fühlen mit ihren Sorgen und Anliegen, ihren Vorschlägen und Kompetenzen, das kann jeder und jede von uns. Sofort. Wenn wir das Gespräch suchen, offene Ohren und Herzen für ihre Anliegen haben, lernbereit sind und uns so auch selbst wieder entschiedener in Verantwortung nehmen lassen. Für die Zukunft, die uns alle angeht.
Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2022)
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