5. Juni 2023

Genügsamkeit

Von nst5

„Mehr Eis“, „mehr spielen“, „mehr vorlesen“, „mehr …“

Wer mit kleinen Kindern zu tun hat, kennt solche Ausrufe und beharrliche Bitten. Kinder haben scheinbar nie genug. Sie wollen immer mehr. Wenn ihre Wünsche nicht erfüllt werden (können), zieht das Enttäuschung, Quengelei, manchmal auch Wutausbrüche nach sich. Sie müssen erst – und manchmal auch schmerzhaft – lernen, dass mehr nicht immer gut für sie ist.
Mehr und besser – dieses Streben liegt wohl tief in uns verankert. Letztlich ist das der Antrieb für Erfindungen und Entwicklungen in unserem persönlichen wie gesellschaftlichen Leben. Deshalb können wir neue Wege finden, Lösungen, die wir bisher nicht auf dem Schirm hatten. Diesem Streben verdanken wir den gesellschaftlichen Wohlstand, in dem wir in unseren Breitengraden das Glück haben leben zu dürfen.

Titelfoto: (c) visualspace (iStock)

Nun sind wir dabei aber an einen Wendepunkt angekommen. Wachstum scheint nicht mehr unendlich möglich. Unser Mehr und Besser führt uns an die Grenzen des Verantwortbaren – insbesondere im Blick auf die zukünftigen Generationen. Aber verzichten, aufhören, sich begnügen, scheint für uns genauso schwer zu sein wie für Kinder.
Seit ich versuche, mein Leben auf Gott und auf das Evangelium auszurichten, begleitet mich die Frage: Was bedeutet das für meinen Umgang mit Gütern, mit Geld, mit den Dingen, die mir anvertraut sind? Stundenlang haben wir uns als junge Leute – und auch später – darüber unterhalten. Uns mit dem begnügen, was wir wirklich brauchen. Das war ein Motto, das uns über lange Zeit begleitete und herausforderte. Was brauche ich wirklich? Was ist zu viel? – Pauschale Antworten und Richtwerte hätten uns da manchmal gefallen, nur konnte uns die keiner geben. Aber: Es war immer leichter, wenn wir wussten, was jemand anderes brauchen konnte. Und es ist bis heute so: Wenn ich weiß, wo mein Mantel ankommt, wem mein Geld hilft, fällt es leichter, mich davon zu trennen, mich mit weniger zu begnügen.
„Genügsamkeit“ scheint mir nicht gerade ein modernes Wort zu sein, aber auf den folgenden Seiten taucht es häufig auf. Ich war überrascht, wie selbstverständlich im Zusammenhang mit der Zukunft von Wohlstand und Wachstum davon die Rede ist – nicht nur bei unseren Gesprächspartnern.
Was genügt zum Leben? Welche Maßstäbe sollen wir da anlegen? Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Letztlich steht dahinter die Frage, woran wir unser Glück, unsere Zufriedenheit festmachen. Fragen, die uns persönlich wie auch in Familien, Gemeinschaften, im Freundeskreis herausfordern, aber auch ganz neue Perspektiven eröffnen können.  Wir sollten uns ihnen stellen – mehr denn je.

Ihre

Gabi Ballweg

Was meinen Sie zu den Beiträgen in diesem Heft?
Ich freue mich auf Ihre E-Mail

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Möchten Sie mehr von uns lesen? Dann können Sie hier
das Magazin NEUE STADT abonnieren oder ein kostenloses Probe-Heft anfordern.
Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Mai/Juni 2023.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.