2. Juni 2023

Optimistisch für zwei

Von nst5

Rebecca Temme

Foto: privat

ist 31 und wohnt mit Mann und Sohn in Köln. Sie hat Betriebswirtschaft studiert und arbeitet als IT-Beraterin für Transformationsprojekte in unterschiedlichen Unternehmen.


Mein Sohn ist noch keine zwei Jahre alt, er wird also das 22. Jahrhundert aller Wahrscheinlichkeit nach noch erleben. Vertrauen in die Zukunft zu haben und zu geben, empfinde ich deswegen als Pflicht.
Natürlich geht es nicht um blinde Zuversicht. Naiv sind meine und die Generationen nach mir nun wahrlich nicht. Wir sind uns bewusst, dass nur wenige von uns sich Eigentum, also eine Wohnung oder ein Haus, werden leisten können. Und wir erleben, dass es in unserer Gesellschaft schlecht um die Generationengerechtigkeit bestellt ist. Mit einer Rente, die auch nur annährend unseren Lebensunterhalt decken kann, rechne ich nicht.
Deshalb stellen wir uns schon jetzt darauf ein: Wenn viele von uns lieber in Teilzeit arbeiten, dann nicht, weil wir faul sind – was uns oft vorgeworfen wird –, sondern weil wir vermutlich auch noch mit 70 oder 75 arbeiten werden und deshalb sorgsam mit unseren Kräften umgehen möchten.
Krisen stärken oft die Extreme: Die Reichen werden noch reicher und die Armen noch ärmer. Aber Krisen können auch Veränderungen beschleunigen – und darauf setze ich. Um Klimaneutralität erreichen zu können, sind zwei Dinge notwendig: Die Bereitschaft, auf Überflüssiges zu verzichten, und zu ermöglichen, dass sich ressourcenschonende Technologien schneller durchsetzen. Ich denke, dass das über den Preis geschehen muss: Der Kaufpreis eines Produktes sollte alle Kosten enthalten, auch die für seine Entsorgung und für nachhaltiges Wirtschaften.
Meine Hoffnung gründet sich also nicht darauf, dass wir den Kapitalismus überwinden werden. Ein Blick zurück zeigt, dass Industrialisierung und Globalisierung die Armut verringert und vielen Menschen – nicht nur bei uns – einen höheren Wohlstand ermöglicht haben. Weniger Wohlstand darf nicht heißen, das Heil in der Vergangenheit zu suchen.
Was aber sehr wohl gilt: Wohlstand – auch meiner – bringt Verantwortung mit sich. Wie soll er verteilt werden? Was kaufe ich und was nicht? Wo mache ich schon jetzt Abstriche, ohne dass mich finanzielle Engpässe dazu zwingen? Solche Fragen beschäftigen mich und sind auch immer wieder Thema in Gesprächen mit meinem Mann oder mit Freundinnen und Freunden. Manchmal sind es kleine Schritte, aber sie weisen in eine Richtung: Seit einiger Zeit backe ich selbst Brot und – am Wochenende – Brötchen.
Ein Aspekt ist mir besonders wichtig: Ich habe Hoffnung, weil ich Christin bin. Diese Welt und wir Menschen sind schon erlöst, und meine Aufgabe ist es, aus dieser Gewissheit heraus verantwortungsbewusst zu leben. Das hilft mir, heute zu leben, die Sorgen von heute anzugehen und dankbar zu sein für das, was mir geschenkt wurde.
Mit weniger Wohlstand werden wir schon irgendwie umgehen lernen. Was ich nicht brauche, ist eine Weltuntergangsstimmung und ein moralisch erhobener Zeigefinger. Das lässt mich eher hilflos zurück. Auch mit Blick auf meinen Sohn und seine Zukunft.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Mai/Juni 2023.
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