5. Juni 2023

Verzicht und Vorsehung

Von nst5

Gerti Zauner

“Ich schränke mich ein, wo es möglich ist, bekomme aber auch viel von anderen geschenkt. Wohlstand verstehe ich nicht nur materiell.”

Foto: privat

Gerti Zauner,
75, verwitwet, lebt in der kleinen Marktgemeinde Kilb im Bezirk Melk in Niederösterreich. Sie wohnt allein, fühlt sich aber nicht einsam, denn sie hat sechs Kinder, viele Enkel, Urenkel und viele Kontakte. Mit der Frage, was Wohlstand ist und ob es sich nicht auch mit weniger Konsum leben lässt, hat sie sich schon in jungen Jahren beschäftigt.


Als 1972 die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ vom Club of Rome herauskam, haben mein Mann und ich entschieden, sparsam zu leben und uns gesund zu ernähren. Kleidung habe ich so lange getragen, wie sie hielt. Wir waren in einer Selbstbesteuerungsgruppe, die regelmäßig einen Teil des Einkommens abtrat. Wir wollten auch andere überzeugen, so zu leben, stießen aber auf wenig Verständnis.
Als mein Mann mit 39 einen Schlaganfall bekam, waren die Kinder noch klein. Hatten wir uns zuvor freiwillig eingeschränkt, waren wir nun dazu gezwungen. Auch wenn die Vorsehung nie gefehlt hat, weiß ich seitdem: Dass die materiellen Grundbedürfnisse abgedeckt sind, ist beim Wohlstand das Mindeste! Wobei zum Wohlstand neben dem Materiellen ganz wesentlich auch die Beziehungen beitragen. Das haben wir in der Pandemie neu gemerkt.
Obwohl ich keine hohe Pension habe, fühle ich mich manchmal reich. Denn ich bekomme viel geschenkt. Wenn ich Lebensmittelmittel, Bekleidung oder anderes angeboten bekomme, bin ich mir nicht zu schade, das auch anzunehmen. Im Sinn der christlichen Gütergemeinschaft gebe aber auch ich gern etwas weiter, wenn andere es brauchen können.
Zwar fahre ich viel mit Rad und Bahn, nutze aber auch mein Auto. Darauf würde ich gern verzichten, könnte dann aber nicht zu dem Kreis der Fokolar-Bewegung fahren, zu dem ich gehöre und der mir wichtig ist. Auch Flüge würde ich gern vermeiden, fliege aber gelegentlich zu Begegnungen nach Rom – weil die anderen aus der Gemeinschaft fliegen. Denn allein so weit mit dem Zug zu fahren, ist mir nicht angenehm.
Aber ich weiß: Durch unser Verhalten haben wir einen kräftigeren ökologischen Fußabdruck als zum Beispiel die Menschen in Afrika. Sie aber spüren die Folgen des Klimawandels viel stärker: wie ungerecht! Da fühle ich mich ohnmächtig. Das Bemühen, mich an vielen Stellen einzuschränken, scheint oft sinnlos. Allerdings kann ich auch nicht anders handeln, wenn ich etwas für mich als richtig erkannt habe. Was mir trotz allem Zuversicht gibt: Wir sind in Gott geborgen! Und: Es gibt viele Pioniere weltweit, die sich aktiv einsetzen, ein anderes Wirtschaften, einen schonenden Umgang mit der Natur vorleben.
Natürlich hören wir das Wort Verzicht nicht gern. Das klingt nach Verlust. Aber brauchen wir wirklich alles, was wir kaufen? Jede E-Mail, jedes Selfie kostet Strom. Ist uns das bewusst? Müssen wir ständig online sein? Wir hätten doch viel zu gewinnen: Zeit, für Beziehungen, für Dinge, die dem Leben mehr Sinn geben als das Haben.
Wenn ich etwas beeinflussen kann, dann durch mein Kaufverhalten: Ich kaufe sparsam, aber nicht billig. Billig heißt häufig, Ungerechtigkeit zu fördern: Leute bekommen kaum Lohn, werden ausgenutzt. Lebensmittel kaufe ich möglichst aus der Region und Bio. Dabei denke ich auch an meine Gesundheit. Denn was steckt sonst alles an schädlicher Chemie in den Nahrungsmitteln? Das Wohl von Menschheit und Umwelt sind eng miteinander verbunden. So wie Papst Franziskus in der Enzyklika „Laudato Si’“ schreibt: Ist die Erde krank, wird auch der Mensch krank. Beziehen wir das ein, wenn wir von Wohlstand sprechen?


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Mai/Juni 2023.
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