5. Oktober 2023

Steh zu deinem Leben!

Von nst5

Astrid Giger-Mosimann

Foto: privat

47, lebt in Lotzwil, Bern. Ihre Arbeit als „Fachfrau Betreuung Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung“ bezeichnet sie als „anstrengend, aber sehr schön“. In ihrer Freizeit geht sie Wandern, bäckt und näht viel und freut sich immer, wenn sie ihre „Kontakte pflegen“ kann. Sich selbst und anderen Alleinstehenden möchte sie Mut machen, ihren Weg nach eigenem Tempo zu gehen. Dabei sind ihr selbst Glaube und das Gebet eine große Hilfe.


Seit sieben Jahren lebe ich wieder allein und erlebe, dass dies ein Tabu-Thema ist. Mir ist bewusst, dass meine Beobachtungen sehr persönlich sind. Jede und jeder erlebt die Situation anders und reagiert unterschiedlich. Es gab und gibt auch bei mir verschiedene Phasen.
Anfangs waren die Sonntage und Feiertage ein Horror. Alle hatten Familie – ich war alleine. Die anderen waren mit meiner Situation überfordert und wussten nicht, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollten. Als mich dann eine Bekannte am Weihnachtstag zu sich in die Familie einlud, war das lieb gemeint und ich wagte den Schritt hinzugehen, fühlte mich dann aber auch selbst ein wenig überfordert.
Mein Single-Dasein braucht die bewusste Entscheidung, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich kann nicht warten, bis jemand an die Türe klopft. Das wäre schön, und wenn es passiert, freue ich mich. Aber ich kann, darf und will nicht darauf warten, sonst isoliere ich mich. So habe ich keinen Fernseher mehr – und lasse meine Hobbys neu aufleben.
Mir hilft sehr, dass ich in eine Gruppe eingebunden bin. Wir treffen uns jede zweite Woche, tauschen uns über unser geistliches Leben und vieles andere aus. So kann ich Fragen mit anderen teilen. Ich habe auch einen geistlichen Wegbegleiter gefunden, mit dem ich über Fragen, Probleme und Krisen sprechen kann. Nicht zuletzt dadurch habe ich gelernt, auf Positivem aufzubauen, mich selbst durch Zuspruch zu ermutigen, wenn etwas gut gegangen ist und ich einen Schritt gemacht habe, der mich etwas gekostet hat.
„Nach vorne schauen, nicht zurück!“ Das hilft mir, immer wieder etwas zu wagen, Hoffnung und Zuversicht zu haben und den nächsten Schritt zu gehen.
Ich bin ein kommunikativer Typ, das macht manches leichter. Allein unterwegs zu sein, macht mir nichts mehr aus. Trotzdem ist es ein Highlight, in diesem Jahr mit einer Bekannten Ferien machen zu können. Aber ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist.
Eine große Herausforderung ist es, wenn ich krank bin. Ich musste lernen, mich zu organisieren und Hilfe anzunehmen. Das braucht viel Demut. Auch gibt es unendlich vieles, um das ich mich kümmern muss, wie etwa die Steuererklärung ausfüllen. Ich habe gelernt, mir auch hier Hilfe zu holen. Vieles ist möglich, wenn ich es anpacke.
Oft werde ich angesprochen: „Es wäre doch schön, wenn du einen Partner finden würdest.“ Klar, wenn es sich ergibt, ist das in Ordnung. Aber im Moment kann ich sagen: „Es ist gut, wie es ist. Ich stehe zu meinem Leben. Auch zum Alleinsein.“ Und ich spüre, dies gibt mir innere Freiheit.
Meist sind die Menschen Singles gegenüber entweder zurückhaltend – oder überfürsorglich. Und es nervt, wenn jemand sich einmischen will. Auch wenn es gut gemeint ist. Da wünschte ich mir etwas mehr Respekt.
Ein Vorteil ist, dass ich meine Freizeit selbst gestalten kann. Ich arbeite in der Pflege und komme oft abends müde nach Hause. Da kann ich  auch mal die Wäsche oder anderes liegen lassen, bis ich wieder Kräfte habe. Was ich gern weitersagen möchte: Allein stehen können, ist eine Voraussetzung für Partnerschaft. Wichtig ist für mich, die Gemeinschaft zu suchen und zu wagen. Das Leben ist so bunt, wie ich es gestalte. Jede Person ist ihr eigener Künstler


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, September/Oktober 2023.
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