Verwundbarkeit akzeptieren

Nur eine Person daten

Sich Zeit nehmen, auch mal ein Kompliment machen und ohne Vorurteile auf andere zugehen: Dazu rät die Sozialpsychologin Johanna Degen beim Dating. Online-Dating habe viele Vorzüge. „Wir beobachten eine zunehmende Einsamkeit, und da ist es erst einmal positiv, dass wir über Dating-Plattformen in Kontakt kommen.“ Die massive Nutzung dieser Angebote zeige aber auch, „dass wir uns woanders nicht mehr kennenlernen können“, so Degen weiter. Insofern sei Tinder „die Antwort auf eines unserer größten Probleme. In der neoliberalen Gesellschaft haben wir keine Zeit für Dating.“ Inzwischen suchten indes viele Menschen von vornherein mit einer negativen Brille: Wer denke, „das ist jetzt wieder der nächste Trottel, mit dem ich meine Zeit vergeude“, vergebe die Chance auf eine positive Begegnung. „Nach ein paar Wochen sind wir zwanzigmal enttäuscht oder schlecht behandelt worden, und dann fangen wir an, uns auch so zu verhalten“, erklärte Degen.
Sie rät dazu, sich bei einem verheißungsvollen Kontakt rasch persönlich zu treffen. Sonst interpretiere man womöglich zu viel in eine Person hinein, die man nur von Fotos kenne. „Und dann ist plötzlich der Geruch oder die Stimme irritierend, und man hat vorher wochenlang getextet.“
Zudem empfiehlt sie, sich nicht parallel mit mehreren Leuten zu treffen, sondern exklusiv mit einer Person – und dies auch anzusprechen. „Damit riskiere ich etwas, nehme mir Zeit, stelle mich auf den anderen ein. Ich denke, das ist eine innere Haltung, die hilft.“

Ein-Personen-Haushalte
In den USA hat sich der Anteil der Erwachsenen, die allein leben, in den letzten 50 Jahren fast verdoppelt. Waren Ein-Personen-Haushalte vor einem Jahrhundert noch selten, machen sie heute etwa in Norwegen und Schweden fast die Hälfte aller Haushalte aus. In Deutschland sind es 41,7 Prozent, in Österreich 37,2 Prozent und in der Schweiz 38,1 Prozent der Haushalte. Wenig verwunderlich ist, dass Menschen in reichen Ländern häufiger allein leben. Dabei ist zu beachten, dass nicht alle Alleinlebenden auch Singles sind; nicht alle Menschen in einer Partnerschaft leben auch zusammen. Außerdem sind allein sein und Einsamkeit nicht dasselbe. Die selbst empfundene Einsamkeit hat in den letzten Jahrzehnten jedenfalls nicht nennenswert zugenommen.

Im Zimmer
„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“ Diese zugespitzte Aussage des französischen Mathematikers, Physikers und Philosophen Blaise Pascal (1623-1662) weist auf eine Aufgabe hin, vor die Singles Tag für Tag gestellt sind, der sich aber jeder Mensch zuwenden sollte: Wie halte ich es mit mir selbst aus? Vielleicht können wir – Singles und Paare – ja voneinander lernen …

Farbenrausch
Kirchliche Angebote für Singles sind eher rar gesät. Eine Ausnahme ist das Seminar „Farbenrausch. Ein Wochenende für Menschen, die als Single ihr Leben allein gestalten“ vom 27. bis 29. Oktober 2023 im Jugend- und Erwachsenenbildungshaus Marcel Callo des Bistums Erfurt im thüringischen Heilbad Heiligenstadt.
In der Ausschreibung heißt es: „Wenn Sie für sich eine Auszeit vom Alltag suchen und Lust auf Begegnung mit anderen haben, dann sind Sie hier richtig. Unser Angebot bietet einen geeigneten Raum, sich kreativ selbst auf die Spur zu kommen und dabei anderen zu begegnen. Neben der Arbeit mit Farben gibt es Raum zum Rückzug, Zeit zum Austausch sowie Anregungen rund um die Fragen von Frau-Sein, Mann-Sein, Mensch-Sein, Berufen sein und Lebensfülle. Das Leben ist bunt!“
www.mch-heiligenstadt.de/kurse-programm

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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, September/Oktober 2023.
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