5. Februar 2024

„Guck mal, ein Fidschi!“

Von nst5

Ein deutsch-vietnamesisches Ehepaar erzählt über seine Erfahrungen mit Ausländerhass und Rassismus.

Foto: privat

Josef Nguyen kam 1981 aus Vietnam mit einem Arbeitsvertrag zunächst für vier Jahre in die DDR und lebt seitdem in Dresden. Dort lernte er Agnes kennen. 1988 gründeten sie eine Familie. Sie haben zwei Söhne, die inzwischen beide verheiratet sind. Agnes (71) und Josef (63) erzählen von ihren Erlebnissen als deutsch-vietnamesisches Ehepaar mit Ausländerhass und Rassismus.

Josef: 42 Jahre bin ich schon in Deutschland! Es gab Arbeitskräfte-Abkommen zwischen der DDR und Ländern wie Kuba, Mosambik und Vietnam. Ich bin also kein Flüchtling. Nach dem Vietnamkrieg lag mein Heimatland völlig danieder, da erschien die DDR supermodern. Die „Druckerei Völkerfreundschaft“ hatte alles sehr gut organisiert. Wir Vietnamesen wurden in eigenen Wohnheimen untergebracht. Wer uns besuchen wollte, musste seinen Ausweis vorzeigen. Wir sollten nach einigen Jahren wieder zurück und uns daher nicht wirklich integrieren. Frei bewegen konnten wir uns aber.
In meiner Firma wurde ich sehr gut behandelt. Andere Vietnamesen wurden ausgenutzt und mussten Arbeiten machen, die deutsche Kollegen ungern taten. In der DDR nannten viele Leute die Asiaten „Fidschis“, manche bewusst verächtlich wie die US-Soldaten im Vietnamkrieg, andere dachten sich nichts dabei. Einmal fuhr ich mit dem Rad an einem Siebenjährigen vorbei, der zu seiner Schwester sagte: „Guck mal, ein Fidschi!“ Ich bin umgedreht und hab gefragt: „Was hast du gesagt?“ Der Junge wurde blass. Dann habe ich freundlich erklärt: „Fidschi ist eine Insel im Pazifik. Da komme ich aber nicht her. Ich bin Vietnamese!“
Agnes: Manche Freunde rieten uns ab zu heiraten. Wir ahnten, dass es nicht immer leicht werden würde. Josef hat mich extra gefragt, ob ich bereit sei, Schwierigkeiten seinetwegen in Kauf zu nehmen. Zwei Jahre haben uns die Behörden absichtlich mit zermürbenden Dokumenten hingehalten, ehe wir heiraten konnten.
Erschreckt war ich kurz nach der Wende, als ein Mann mit Pistole in die Firma stürmte, wo Josef arbeitete, und einen deutschen Schichtführer attackierte. Er war frustriert, weil Deutsche nach der Wiedervereinigung arbeitslos wurden, während Ausländer in dieser Druckerei noch Arbeit hatten. 
In der Straßenbahn wurde ich als Ausländerhure beschimpft. Als junge Mutter sagte mir ein Zwölfjähriger: „Solche wie euch (mit Ausländern verheiratete Deutsche) hätte Hitler vergast!” Einmal wurde Josef auf dem Heimweg aus dem Hinterhalt mit Flaschen beworfen, aber nicht getroffen. Ein andermal kamen Jugendliche an unsere Haustür, kurz bevor Josef von der Arbeit kam, und sagten: „Hier wohnt auch ein Fidschi!“ Als Josef eintraf, gingen sie auf ihn los. Da bin ich mit Kind auf dem Arm dazwischen. Sie liefen weg bis auf einen Jungen. Er war sprachlos, als ich sagte, ich sei die Frau von diesem Vietnamesen. Wir hatten dann ein gutes Gespräch. Er wusste nichts von Vertragsarbeitern und dachte, alle Vietnamesen seien Zigarettenschmuggler.
Josef: Nach dem Fall der Mauer nahm die Fremdenfeindlichkeit zu, aber ich hatte immer einen Schutzengel! Ich bin auch vorsichtig: wegen der Angst, mir oder meiner Familie könnte etwas passieren. Wenn mir Leute nicht geheuer vorkommen, wechsle ich die Straßenseite oder nehme einen anderen Weg. Von vietnamesischen Studenten weiß ich, dass sie oft bei der Jobsuche benachteiligt sind. Sie werden viel stärker auf ihre Eignung geprüft als deutsche Mitbewerber und müssen ihre Fähigkeiten erst unter Beweis stellen.
Agnes und Josef Nguyen


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Januar/Februar 2024.
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