Ich will nicht neben der sitzen“
Malaika Mihambo
(29), ist eine der erfolgreichsten deutschen Leichtathletinnen der vergangenen Jahre. Die in Heidelberg geborene Weitspringerin ist zweifache Weltmeisterin und Olympiasiegerin. Immer wieder war und ist sie Alltagsrassismus ausgesetzt. In ihrem jüngst erschienenen Buch „Spring dich frei“ 1 schildert sie Erlebnisse aus ihrer Kindheit und der Gegenwart und macht deutlich, was sie sich von jedem Menschen erhofft und erwartet. Wir veröffentlichen zwei kurze Auszüge aus den Kapiteln 3 und 20.
Einmal bildeten wir (in der Grundschule) einen Stuhlkreis, und zufällig ergab es sich, dass ich meinen Stuhl neben diesen Schüler stellte. Entsetzt sah der Junge mich an, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen, als hätte er den schlimmsten Abscheu vor mir. Schließlich sagte er laut in einem abfälligen Ton: „Ich will nicht neben der sitzen.“
Stille im Klassenzimmer. Sämtliche Augenpaare waren zur Lehrerin gerichtet. … Ich war irritiert und vor den Kopf gestoßen, in meinem Herzen spürte ich einen dumpfen Stich, als wolle man es in Stücke reißen. Was würde sie tun? Die Lehrerin holte tief Luft, bevor sie die Worte unwiderruflich und mit harter Stimme aussprach, die sich für immer in mich eingraben sollten: „Malaika, dann setz dich bitte woanders hin.“ …
In der Kindheit war ich dem Alltagsrassismus hilflos ausgesetzt gewesen, inzwischen bin ich erwachsen und kann damit umgehen, habe viel über mich gelernt, bin erfahrener und weiß, dass ich solche Dinge nicht auf mich beziehen muss. Trotzdem ist es unheimlich traurig, dass man immer wieder und immer noch damit konfrontiert ist. Ich habe sogar das Gefühl, dass die Gesellschaft dafür noch offener geworden ist; wo sich früher manch einer geschämt hätte, rassistisches Denken öffentlich zu propagieren, so tun dies heute einige Menschen mit Selbstbewusstsein. …
Vor den Olympischen Spielen in Tokio … wurde ich von einem Journalisten gefragt: „Wenn Sie eine Medaille gewinnen und auf dem Podest stehen, würden Sie dann auch so eine Black-Power-Geste machen?“ … Im Nachhinein … begann ich mich zu fragen, warum … hat er mir diese Frage gestellt, nur, weil ich eine dunklere Hautfarbe habe als viele andere Athletinnen und Athleten? Mir fiel auf, dass die Frage an sich schon ein Rassismusproblem deutlich machte. … Rassismus ist kein Problem der Opfer, sondern der Täter. Von Opfern alleine zu verlangen, dass sie sich gegen Rassismus stark machen, ist auf subtile Weise selbst rassistisch. Eigentlich sollte das Engagement gegen Diskriminierung ein gesellschaftlicher Prozess sein, der jeden Einzelnen betrifft …. Hautfarbe, Herkunft oder Religion dürfen nicht der Faktor sein, warum Menschen sich einsetzen; so wird von vornherein eine Unterscheidung gemacht, die die Opfer als Minderheit alleine lässt. Jeder kann und sollte sich über die eigene Wortwahl und die Implikationen der eigenen Sprache und Denkweise Gedanken machen. Dabei geht es nicht nur um offensichtlichen Rassismus, sondern auch um unterschwellige Vorurteile. … Jeder sollte das Recht auf physische und psychische Unversehrtheit haben. Und weil dies jedem zusteht, sollte sich jede und jeder immer mal wieder fragen, ob oder wie man vielleicht anderen durch unsensible Worte oder intolerante Ansichten wehgetan hat. Sollte man in einer Situation sein, in der man solche Worte mitbekommt, so sollte man dem Opfer beistehen und sich klar positionieren. … Dass dies durch einen angemessenen Umgangston geschehen sollte, versteht sich hoffentlich von selbst. Aufklärung, Sensibilisierung und eine demonstrative Positionierung können helfen, ein wertschätzendes Klima zu schaffen, in dem sich jeder frei entfalten kann.
1 Malaika Mihambo, Spring dich frei. Mein Weg zu Achtsamkeit und innerer Stärke, echtEMF 2023, ISBN 978-3-7459-1832-8
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Januar/Februar 2024.
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