4. April 2024

„Kommt und seht!“

Von nst5

Stefan Liesenfeld

Foto: privat

ist verantwortlich für das Buchprogramm im Verlag Neue Stadt. Der Theologe lebt mit seiner Familie in Kempten im Allgäu.


„Ich habe nur einen Wunsch, eine Leidenschaft: Die Liebe soll geliebt werden.“ – „Niemals dachten wir daran, ,Apostolat zu machen‘. Dieser Begriff gefiel uns nicht; er war missbraucht, verunstaltet. Wir wollten nur lieben, um Gott zu lieben. Und sehr bald merkten wir, dass dies das wahre Apostolat ist“, denn Apostolat und Zeugnis, so Chiara Lubich (1920–2008), die Gründerin der Fokolar-Bewegung, könnten „im Grunde nichts anderes sein als die Ausstrahlung der Liebe …“ 1
Diese Zitate aus unterschiedlichen Zeiten und Zusammenhängen führen zum Kern dessen, was Chiara Lubich unter „Zeugnis geben“ verstand. Mehr noch: Sie führen zu dem, was Leben ausmacht, volles, erfülltes Leben: geliebt sein und lieben. Denn Zeugnis, das ist primär ein Nebeneffekt solchen Lebens: Leben, das spricht. Das ganze Leben in allen Aspekten!
Zeugnis, das ist in der Fokolar-Spiritualität und -bewegung kein Sonderbezirk frommer Glaubensvermittlung, das sind auch nicht Worte, Methoden, Strategien, Veranstaltungen als solche.
Zeugnis „geschieht“, und zwar da, wo Liebe lebendig ist, wortlos oder nicht, im Hören oder Sprechen, in Begegnungen, im Dasein für Menschen, die es brauchen, im Engagement für eine Welt im Sinne Gottes, eine „geeintere Welt“.
Unmittelbar wird klar: Zeugnis geben ist jederzeit und allen möglich – und aufgetragen. Nicht als zusätzliche Verpflichtung, das wäre ein grobes Missverständnis. Es geht schlicht um Leben und Lebensräume, die einladend sind, schön und offen für jede und jeden; es geht um Begegnung auf Augenhöhe.
Zeugnis „geschieht“, wo Grenzen und Gräben überwunden werden, wo sich Dialog ereignet, wo Schritte hin zum „ut omnes unum sint“ (Johannes 17,21) getan werden: Dass alle eins seien ist das bleibende Anliegen der Fokolar-Bewegung. Ein Gott, der Liebe, der Beziehung ist und möchte, wird am ehesten da bezeugt, wo er selbst da ist: in der Liebe. „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Johannes 13,35). Da ist eine Präsenz Gottes, da ist „Jesus in der Mitte“. „Kommt und seht!“ – das sagen zu können, ist der Wunsch, an dem sich die Mitglieder der Fokolar-Bewegung ausrichten möchten in ihrem Tun, ihrem Miteinander, in Kreisen und Begegnungen, in Siedlungen, Initiativen und Veranstaltungen.
Dass Christsein nichts neben dem Menschsein ist, sondern eine Dimension ins Leben bringt, die menschliches Leben und Zusammenleben ganz durchdringt, die prägt und trägt, das hat mich persönlich vor Jahrzehnten in der Begegnung mit dem Fokolar „getroffen“. Wie schön diese Botschaft ist, das hat mich neu beeindruckt bei der Beschäftigung mit dem Thema Zeugnis, Sendung und Ruf bei Chiara Lubich. Wie schön solches Leben ist, das beeindruckt mich jedes Mal, wenn ich damit in Berührung komme; überall, wo lebendige, tragende Beziehungen spürbar werden. Dazu beizutragen, dass ein solcher Lebensstil Kreise ziehen kann, scheint mir die Stoßrichtung des Zeugnisses der Fokolar-Bewegung zu sein, ihr Ruf und ihre Sendung.

1 Chiara Lubich, Weiter als gedacht, München 2023, S. 28.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, März/April 2024.
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