17. Juni 2024

Grundhaltungen anerkennen

Von nst5

Ansgar Bock

Foto: privat

Ansgar Bock, geboren 1964, lebt mit seiner Frau bei München. Sie haben zwei erwachsene Töchter und ein Enkelkind. In seinen Beitrag fließen seine langjährigen beruflichen Erfahrungen als Trainer und Coach für verschiede Firmen ebenso ein wie seine persönlichen Erlebnisse. Denn auch er selbst ist im Beruf wie im Privaten immer wieder von Veränderungen betroffen.


Wie gehen Menschen mit Veränderungen um? Zwei Grundmuster von Motiven lassen sich unterscheiden: auf der einen Seite das Bedürfnis nach Kontinuität, das sich in Routinen, Stabilität und Ordnung zeigen kann. Auf der anderen Seite das Bedürfnis nach Neuerungen, das sich in Spontaneität, Abwechslung und Kreativität äußern kann. Leider bekommen beide Haltungen schnell ein Etikett, das oft abwertend und mit Vorurteilen behaftet ist: Die einen sind dann die „Fortschrittlichen“, die anderen die „Traditionalisten“.
Um dieses Dilemma zu lösen, sind zwei Schritte hilfreich. Zuerst gilt es, die eigene Vorliebe zu kennen, anzuerkennen und so die Voraussetzung für eine von Vorurteilen freiere Auseinandersetzung zu schaffen. Dazu hilft eine achtsame Selbstbeobachtung: Wie reagiere ich auf Änderungen, wenn andere sie vorschlagen? Fällt es mir leicht, mich dafür zu öffnen, oder kommen mir spontan Gedanken wie: „Ja, aber…“? Inwieweit gebe ich selbst Anstöße für Neuerungen (Umgestaltung der Wohnung, Änderungsvorschläge in Arbeitsprozessen, Nutzung neuer Technologien) oder nutze ich bevorzugt das, was ist? Ich kann vertraute Personen um ihre Einschätzung bitten: Erleben sie mich als jemanden, der Bestehendes zu schätzen weiß oder als Initiator von Veränderungen?
Der zweite Schritt bedeutet, die Anliegen, Bedürfnisse Anderer nach Veränderung oder aber Stabilität wahrzunehmen. Das geschieht durch Nachfragen, Hinhören, oftmals Hinspüren, Erahnen. Wenn ich die Motive des Anderen kenne, fällt es leichter, seine Vorlieben als Bereicherung statt als Bedrohung zu sehen und zu akzeptieren. Um diese Haltung praktisch zu leben, braucht es Momente, in denen vertrauens- und respektvoll unterschiedliche Perspektiven zu Wort kommen können, um eine Suche nach tragfähigen Lösungen zu ermöglichen.
In professionellen Bezügen werden dazu häufig moderierte Workshops angeboten. Schrittweise werden die verschiedenen Perspektiven eingenommen: Welche Chancen, welche Risiken bietet die neue Entwicklung; was muss dafür aufgegeben werden? Was fällt leicht aufzugeben, was hingegen ist ein Verlust? Die Antworten können individuell unterschiedlich sein. Je intensiver alle Betroffenen die verschiedenen Perspektiven einnehmen und Verständnis für andere Sichtweisen aufbauen, desto besser lassen sich das Beibehalten eines Status oder aber Entwicklungen akzeptieren. Dieses strukturierte Vorgehen ist auch ins private Umfeld (Vereine, Familien, Partnerschaften) übertragbar. Entscheidend für das Gelingen ist es, sich Zeit zu nehmen, Schritt für Schritt vorzugehen und dem bewussten Abwägen ebenso Raum zu geben wie den spontanen Reaktionen und Empfindungen.
Und noch etwas: In Veränderungsprozessen gibt es zumeist eine Phase des Übergangs, des „Dazwischen“. Diese sollte bewusst gestaltet werden, damit Bisheriges respektvoll aufgegeben, verabschiedet und Neues leichter akzeptiert und dauerhaft wirksam werden kann. Dazu tragen Rituale des Abschiednehmens und der Öffnung bei. Beispiele dafür sind moderierte Changeworkshops in Firmen, Gebete und Gottesdienstformen in Phasen von Trauer und Tod, Junggesellenabschiede vor Hochzeiten.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Mai/Juni 2024.
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