Ein öffentliches Gut
Der Wasserhaushalt unserer Erde ist ein zerbrechliches Gebilde.
Der Wasserexperte Harald Kunstmann erklärt, warum wir uns neu darüber verständigen müssen, wie wir mit dem knappen Gut umgehen.
Foto oben: (c) Anastasiya Sultanova, KIT
Herr Kunstmann, Wasser ist ein kostbares, lebensnotwendiges Gut. Wird es tatsächlich knapp?
Letztlich geht es stark darum, wie viel Wasser pro Person zur Verfügung steht. Darauf nehmen vor allem zwei Dinge Einfluss.
Die wären?
Zum einen hat die globale Erwärmung Einfluss auf den Wasserkreislauf: Niederschläge, Verdunstung, Temperaturen, der Wasserbedarf von Ökosystemen, aber auch von Menschen, ändern sich. Das wirkt sich auch auf die Wasserverfügbarkeit aus.
Der andere Grund ist viel direkter: Wir haben insgesamt nur eine begrenzte Wassermenge pro Jahr zur Verfügung. Davon leben im Moment mehr als acht Milliarden Menschen, aber wir steuern auf zehn Milliarden zu. Da wird das Wasser pro Person ganz automatisch knapper.
Außerdem kann man von der Niederschlagsmenge pro Jahr nicht direkt darauf schließen, wie viel Wasser zur Verfügung steht. In vielen Regionen der Welt gibt es ausgeprägte Regen- und Trockenzeiten. Damit Wasser dort nicht knapp wird, geht es auch darum, es von der Regen- in die Trockenzeit hinüberzuretten – durch bauliche Maßnahmen und mit Wassermanagementstrategien.
Sprechen wir da von Auffangbecken?
Auch. Aber auch davon, dass wir bei einem extrem starken Niederschlagsereignis nicht beliebig viel und schnell Wasser auffangen können. Es rauscht erst einmal durch, häufig auch wegen des Hochwasserschutzes.
Es gibt also viele Gründe, uns über die Wasserverfügbarkeit pro Person Gedanken zu machen.
Welche Rolle spielt dabei die Wasserqualität?
Trinkwasser muss natürlich eine bestimmte Qualität haben. Das gilt aber auch für die Bewässerung; wenn Wasser zu salzig ist, bleibt bei der Bewässerung Salz im Boden und kann langfristig die Bodenfruchtbarkeit vermindern. Wo Wasser knapp wird, wird häufig auch die Qualität schlechter, weil es dann eine übernutzte Ressource ist.
Kann man nicht zusätzliches Trinkwasser gewinnen?
Theoretisch kann man aus dem vermeintlich unerschöpflichen Wasserreservoir der Ozeane Trinkwasser gewinnen. Für die Meerwasserentsalzung wird aber viel Energie benötigt. Außerdem bleibt bei dieser Umwandlung hoch angereichertes Salzwasser zurück. Wenn wir es in den Ozean zurückkippen, verändert sich der Salzgehalt dort lokal und beeinträchtigt die Ökosysteme.
Noch mal zu den Wetterereignissen. Dürre und Überschwemmungen häufen sich auch bei uns.
Vermehrter Starkregen lässt sich einfach mit Physik erklären: Wenn es wärmer wird, kann mehr Wasser verdunsten und die Atmosphäre kann mehr Wasser in gasförmiger Form tragen. Wir haben im Moment eine mittlere globale Temperatur von etwa 15 Grad Celsius. Wenn sie um ein Grad steigt, kann die Atmosphäre ungefähr sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Wenn es dann regnet, kommt sehr viel mehr Wasser herunter.
Und die Trockenheit?
Da geht es um die Dynamik der Windsysteme. Wir befinden uns in der Westwindzone: Die Hauptluftmassen kommen aus dem Westen, vom Atlantik. Dieser Westwind wird angetrieben durch einen Temperaturunterschied zwischen dem kalten Nordpol und dem wärmeren Äquator; verbunden mit der Erdrotation wirkt er wie ein Motor.
Weil es wärmer wird, schmilzt das Eis an den Polen; die dunkler werdende Erdoberfläche reflektiert die Sonnenstrahlen nicht so gut wie das weiße Eis; das kann zur Erwärmung der Landoberfläche beitragen. Damit wird der Temperaturunterschied zwischen den Polen und dem Äquator geringer und der Motor langsamer, er kommt ins Stottern. Hoch- und Tiefdruckgebiete ziehen nicht mehr so schnell durch. Wenn ein Hochdruckgebiet länger stehenbleibt, haben wir mehr Wärme, mehr Hitze, mehr Trockenheit. Wenn ein Tiefdruckgebiet bleibt, kann es länger regnen.
Ein direkter Zusammenhang mit dem Klimawandel …
Wir denken manchmal, der trifft uns hier nicht so stark. Aber Europa erwärmt sich mit am stärksten. Und wir sind auch deshalb stark betroffen, weil wir als Hochtechnologiestandort und als reiche Nationen sehr verletzlich sind. Wenn ein Extremereignis kommt, sind bei uns die Schäden in Euro weit höher als in einem Land in Westafrika.
Wir sollten den Motor also nicht noch stärker ins Stottern bringen?
Ja. Aber das ist schwierig. Der Atmosphäre ist es egal, wo das CO₂ herkommt und auch, wer was einspart. CO₂ verteilt sich sehr schnell über den Globus. Deshalb müssen alle von den Emissionen runter, und das fällt schwer. Wir reden uns damit raus, dass andere ja auch nur wenig machen. Und wir befürchten: Wenn wir etwas machen, dann profitiert jemand von meiner Aktion, obwohl er selbst nichts macht. Oder wir tun so, als ob nur wir etwas machen. Das ist falsch. Auch China investiert beispielsweise massiv in erneuerbare Energien.
Kommen wir noch mal zum Wasserverbrauch.
Da ist es wichtig, sich ganz genau die Zahlen anzuschauen. Sobald wir eine Trockenheit haben, wird sofort an die Privathaushalte appelliert, Wasser einzusparen. Tatsächlich ist das, was wir privat verbrauchen, aber eine vergleichsweise kleine Menge. Trotzdem sollte natürlich das Unnötige sofort abgestellt werden: Pools befüllen, den Rasen bewässern.
Es muss aber auch darauf geschaut werden, welche Wassermengen in Industrie, Landwirtschaft und auch der Mineralwasserindustrie verbraucht werden. Da gibt es zwar Konzessionen, die die Entnahme aus einem öffentlichen Gewässer regeln, die aber oft zu wenig oder nicht zeitnah überprüft werden.
Dass nicht zu viel entnommen wird?
Ja. Wobei zu unterscheiden ist: Wenn Wasser aus einem Fluss zur Kühlung entnommen und danach sofort wieder zurückgeleitet wird, ist das anders zu bewerten, als Wasser, das aus dem Fluss oder dem Grundwasser genommen wird, um damit ein Feld zu bewässern. Dieses ist dem Landoberflächen-Wasserkreislauf entnommen und geht mit der Verdunstung dann in die Atmosphäre.
Natürlich braucht die Landwirtschaft Wasser. Es seien „nur zwei Prozent“, heißt es oft. Das ist aber eine äußerst große Menge, weil sie sich auf den Gesamtverbrauch im ganzen Land bezieht. Regional und temporär kann das extrem viel sein.
Wenn Wasser knapp wird, entstehen Verteilungskämpfe. Dann müssen bisherige Abläufe auf den Prüfstand. Wir müssen uns neu darüber verständigen, wie wir als Gemeinschaft mit dem knappen Gut umgehen.
In einigen Teilen der Welt wird mit Wasser auch ordentlich Geld gemacht. Wie sehen Sie das?
Immer wenn Wasser knapp wird, wie in vielen Ländern des globalen Südens, leidet als Erstes die arme Bevölkerung. Weil die öffentliche Wasserversorgung nicht mehr funktioniert. Und wenn Wasserlaster in die Dörfer und Städte fahren müssen, wird es sofort teuer.
Wasser ist ein öffentliches Gut. Deshalb sollte es nicht privatisiert werden. Das heißt aber nicht, dass es kostenlos sein soll. Wasser braucht einen angemessenen Preis, denn nur über den Preis machen wir uns bewusst, welchen Wert es hat. Wo Wasser nichts kostet, wird es in der Regel auch verschwendet. Wir brauchen deshalb eine Steuerung, auch eine preisliche, um die Übernutzung der Ressource zu verhindern.
Und um die Qualität zu sichern?
Ja, Menge und auch Qualität. Wenn es als öffentliches Gut zur Verfügung gestellt wird, kann auch die Qualität garantiert und überwacht werden.
Jemand, der privat mit Wasser versorgt, will und muss Gewinn machen. Für ihn macht es keinen Sinn, Wasserleitungen dorthin zu legen, wo nur ganz wenige Konsumenten leben. Das sind dann die ersten Regionen, die vernachlässigt werden. Das darf nicht sein. Wir haben als Staat ein übergeordnetes Interesse, dass wir solidarisch ausgleichen sollten.
Erst wenn eine Ressource wie Wasser knapp wird, machen wir uns bewusst, dass sich auch in der Organisation etwas ändern muss. Die Zuteilung von Wasser an Industrie, Landwirtschaft und Kommunen muss transparent geregelt sein. Denn natürlich braucht die Landwirtschaft Wasser. Aber wenn sie in einer Region zu viel entnimmt, dann leidet in der Folge beispielsweise der Wald, und auch da besteht ein übergeordnetes Interesse, den zu schützen. Wir müssen in Zukunft die verschiedenen Bedürfnisse mit den neuen Gegebenheiten neu in Einklang bringen.
Ein Beispiel: Die Stadt München bekommt einen Teil ihres Wassers aus dem Loisachtal bei Garmisch-Partenkirchen. Große Mengen an Wasser werden in Röhren nach München geleitet. Nun will Eschenlohe im Loisachtal sein Gewerbegebiet erweitern, kann es aber nicht, weil damit die Wasserschutzzone betroffen wäre und sogar eher etwas erweitert werden müsste, damit der Bedarf von München gedeckt werden kann. Die Gemeinde sieht sich in ihrer weiteren gewerblichen Entwicklungsmöglichkeit eingeschränkt, wenn München sich vergrößert und mehr Wasser im Loisachtal fördern möchte.
Solche Konflikte werden mehr und mehr auftauchen. Da besteht großer Diskussions-, Kommunikations- und Abstimmungsbedarf. Man kann nicht davon ausgehen, dass es so bleiben kann, wie es bisher war.
Vielen Dank für das Gespräch!
Gabi Ballweg
Harald Kunstmann ist Hydrologe, befasst sich also wissenschaftlich mit dem Wasser in der Biosphäre der Erde. Seit 2009 ist der Physiker Professor für Regionales Klima und Hydrologie an der Universität Augsburg und seit 2021 Gründungsdirektor des dortigen Zentrums für Klimaresilienz. Für seine Forschungen wurde er mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Deutschen Hydrologiepreis 2024. Damit würdigte die Deutsche Hydrologische Gesellschaft seine Arbeiten im Bereich Wasserforschung und Klimaänderung
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, September/Oktober 2024.
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