Tiere erwarten nichts
Emma Mannocchi

Emma Mannocchi
Die Italienerin hat schon früh das soziale Potenzial von Tieren erfahren. In Deutschland hat die Tierärztin eine Umschulung zur Heilerziehungspflegerin gemacht und arbeitet in einer Einrichtung für schwermehrfachbehinderte Menschen und Menschen mit hohem Assistenzbedarf in Augsburg. Auch dort beobachtet sie, dass Tiere oft Zugang zum Inneren eines Menschen finden und zu dessen Entwicklung beitragen.
Dass Tiere die Entwicklung von Menschen und ihr Wohlbefinden beeinflussen können, ist keine neue Erkenntnis. Schon im 18. und 19. Jahrhundert wurden sie in der angelsächsischen Welt in die Begleitung von psychisch kranken und Menschen mit Assistenzbedarf oder Beeinträchtigungen einbezogen. Allerdings erst seit den 1970er-Jahren wird das auch wissenschaftlich intensiver untersucht.
Unter dem Begriff „Tiergestützte Interventionen“ wird eine breite Palette von Aktionen zusammengefasst. Tiere helfen, eine Beziehung zwischen Betreuern und Klienten zu gestalten, oder können motivierend auf den Klienten wirken. Manchmal sind sie während einer Aktivität „nur“ dabei: Allein ihre Gegenwart wirkt beruhigend und vertrauenerweckend. Das Tier kann in der Intervention aber auch Abbild des eigenen Selbst werden und als Projektionsfläche dienen: Der Klient hat so die Möglichkeit, eigene Fehler, Ängste, Schuldgefühle auf das Tier zu verlagern, sie quasi außerhalb von sich zu bearbeiten.
Nicht jeder Mensch ist offen für jedes Tier: Ein Klient reagiert positiv auf ein Pferd; ein Meerschweinchen würde er ablehnen. Bei einem anderen ist es umgekehrt. Und so wie manche nicht auf Musik reagieren, sind andere nicht über Tiere zu erreichen. Auch ist nicht jedes Tier gleichermaßen für Tiergestützte Intervention geeignet. Die Tiere sind gezielt ausgesucht, vorbereitet und geschult. Ihr Einsatz ist geregelt; sie arbeiten nur eine bestimmte Zeit und die Intervention findet immer unter Beobachtung statt – im Interesse des Tieres wie auch des Klienten. Wenn das Tier im Arbeitsmodus ist, hat es eine Funktion, die es kennt.
Vor allem Kinder reagieren sehr auf Tiere. In einer Grundschule war es einer Lehrerin kaum möglich zu unterrichten, weil die Kinder sehr schwierig waren. Es gab sogar Gewalt. Die Kinder wussten nicht, warum sie so reagierten. Durch den Einsatz eines Hundes konnten die Emotionen angesprochen werden: „Wenn der Hund sich ärgert, verhält er sich so. – Was mache ich, wenn ich Ärger spüre? Oder: Wie reagiere ich, wenn ich überfordert bin?“ So haben sie verstanden, was in ihnen vorgeht und wie sie damit umgehen können. Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten bekommen sich durch Tiere in den Griff. Wenn sie etwa dem Hund ganz genaue Hinweise geben müssen, damit er so reagiert, wie sie es wollen, erfordert das eine hohe Konzentration von ihnen.
Man kann auch die verbale und nonverbale Kommunikation verbessern, soziale Aufmerksamkeit stärken, aggressives Verhalten reduzieren und Vertrauen stärken. Die Anwesenheit von Tieren und die Interaktion mit ihnen können Konzentration und Motivation verbessern, depressive Verhaltensweisen reduzieren und Angst verringern. Dazu kommt eine Steigerung der Empathie und der Resilienz. Der Kontakt mit Tieren zeigt positive Auswirkungen in Stresssituationen.
Denn Tiere erwarten nichts. Es ist eine zweckfreie Beziehung. Das Tier kann direkt, ohne Filter eine emotionale Ebene erreichen. Man muss dem Tier nichts beweisen, wird nicht verglichen. Das Tier nimmt dich an, so wie du bist. Auch deshalb ist es nicht gut, Tiere zu vermenschlichen, sonst verlieren sie ihre Besonderheit. Sie werden in eine Rolle gedrängt, die nicht ihre ist. Das ist ungesund – auch für die Tiere.
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Juli/August 2025.
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