17. November 2014

Neu beginnen

Von nst1

Umziehen, in eine neue Stadt gehen, eine neue Arbeitsstelle antreten, in eine andere Schule, eine neue Umgebung kommen: Das kann wehtun, weil ich Liebgewonnenes hinter mir lassen muss. Es hat zugleich aber auch etwas Verheißungsvolles: Aufbruch! Neue Chancen tun sich auf.

Das habe ich das erste Mal mit sechs Jahren erlebt: Der große Möbeltransporter brachte die ganze Habe unserer Familie in den neuen Ort, 150 Kilometer entfernt. Die Freunde, in der ersten Klasse gerade erst gefunden, Lehrer, Spielplatz, Kindergarten blieben am alten Ort zurück – kein Wunder, dass Tränen flossen: unvorstellbar für ein Kinderherz, dass das Leben auch woanders weitergehen kann! Und doch: Nur wenige Wochen darauf waren neue, zarte Freundschaftsbande geknüpft; die Neugier, Teiche, Wälder, Straßen und Ecken in der „neuen Welt“ zu entdecken, noch lange nicht gestillt.

Mittlerweile bin ich oft umgezogen: Wertvolle Etappen des Abschieds, zugleich Gelegenheit, neu zu beginnen, selbst ein Stück neu zu werden. Mit zunehmendem Alter jedoch fällt ein Neuanfang schwer. Irgendwann möchte ich auch mal ankommen, mich einrichten, länger bleiben. Daher finde ich spannend, dass Rainer Hesse, Geistlicher im Ruhrgebiet, sich mit 60 Jahren nochmal auf den Wechsel in eine neue Pfarrei einlässt und – sich seiner Grenzen bewusst – sogar darauf freut!

Um mutige Neuanfänge geht es noch in zwei anderen Beiträgen in diesem Heft: Der Verein Tabor in der Nähe von München gibt Strafentlassenen die Möglichkeit, mit Menschen ohne Hafterfahrung zusammenzuwohnen. So finden sie nach ihrer Zeit im Gefängnis ein Zuhause, wo sie sich auf das weitere Leben in Freiheit – ohne Drogen und Kriminalität – vorbereiten können. In Toronto hat ein Restaurant geöffnet, in dem die Gäste von Gehörlosen bedient werden, die sonst nur schwer einen Job finden. Es gibt ihnen die Chance zu einem Neuanfang – mit einer geregelten Arbeit.

Diese beiden Beispiele zeigen, dass es auch Menschen braucht, die andere neu anfangen lassen; die ihnen den Raum dafür geben und vor allem das Vertrauen schenken, dass sie es packen können.

Einen Neubeginn wagen, mich auf etwas Neues einlassen, setzt Offenheit, Mut und Risikobereitschaft voraus. Und eine große Hilfe ist es, wenn ich versöhnt bin mit mir selbst, den Mitmenschen, meiner Vergangenheit.

Vergebung und Versöhnung sind noch mal ein Thema für sich: Welche Schritte sind nötig, um jemandem vergeben zu können oder sich vergeben zu lassen? Welche Rolle spielt die geistliche Ebene dabei? Über Versöhnungsarbeit und ihre heilsame Wirkung haben wir mit dem Psychiater, Neurologen und Psychotherapeuten Konrad Stauss gesprochen.

Neuanfänge habe ich immer als Erweiterung des Horizonts, als bereichernd erlebt. Steht bei Ihnen ein Neuanfang an – in Form eines Umzugs oder in der Beziehung zu jemandem, durch ein Vergeben oder eine Geste der Versöhnung? Dann wünsche ich Ihnen die nötige Portion Mut dazu! 

Ihr

Clemens Behr

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November 2014)
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