Ärger fruchtbar machen
Wie wenig die UNO trotz aller Blauhelmeinsätze für den Frieden ausrichten kann! Dass sich kaum etwas bewegt in Richtung Lösung des Konflikts in Syrien und auf der Welt immer wieder neue Kriege entfacht werden!
Dass wegen der Flüchtlingsströme Angst um sich greift und sich Landsleute zu Hass und Gewalt anstiften lassen! – Es gibt vieles, was ich bedrohlich finde, was mir nicht passt, was mich ärgert, was mir missgefällt.
Nichts dagegen, seinen Missmut zu äußern, seine Kritik an den Mann zu bringen! Das ist nötig und kann etwas anstoßen, neue Entwicklungen auslösen, Veränderungsprozesse in Gang setzen. Die Gefahr besteht darin, dass ich mich dabei innerlich distanziere: Das ist nicht mehr meins! Den schreibe ich ab. Mit dem will ich nichts zu tun haben! Denn so mache ich dicht, kappe Möglichkeiten, Beziehungen aufzunehmen, ins Gespräch zu kommen, zu überzeugen oder mich überzeugen zu lassen.
Die Rede von Simonetta Sommaruga, der aktuellen Schweizer Bundespräsidentin, vor der UNO-Generalversammlung in New York finde ich daher bemerkenswert : Ihr passt vieles an der UNO nicht und das drückt sie deutlich aus. Aber sie malt nicht schwarz-weiß: Sie benennt auch die guten Ansätze. Mit der Schweiz ist sie Teil der UNO, und trotz deren Schwächen kann sie sich mit ihr identifizieren und konstruktive Vorschläge zur Behebung der Unzulänglichkeiten machen.
Auch an mir selbst gefällt mir manches nicht: Grenzen, die ich nicht überwinden kann, Verletzungen, die ich anderen zugefügt habe, Fehler, die ich begangen habe. Aber sie sind Teil von mir. Ich kann lernen, zu ihnen zu stehen. Ich kann versuchen, mich zu ändern, Missgriffe und Kränkungen vermeiden oder wiedergutmachen.
Andererseits: Wie schwer ist es, dass sich Menschen ändern! Das erlebe ich an mir selbst. Um so eindrücklicher finde ich, wie die Psychiaterin Annette Gerlach mit psychisch kranken Menschen umgegangen ist, die zum Teil schwere Straftaten begangen haben: Sie hat an ihr Veränderungspotential geglaubt und alles daran gesetzt, es zu nutzen.
Wie schwer ist es, Konflikte zu beenden! Um so erstaunlicher ist es, wie sich der Friedensprozess in Kolumbien entwickelt. Seit über fünfzig Jahren leidet das südamerikanische Land unter einem erbitterten Guerilla-Krieg. Der aktuelle Versuch, das Land zum Frieden zu führen, ist nicht der erste, scheint aber erfolgversprechend zu sein.
Manchmal reicht wenig, um einer Situation eine überraschende Wendung zu geben: Eine Lehrerin in Latina südlich von Rom hatte sich geärgert, dass ein Junge mehrfach sein Pausenbrot wegwarf. Sie muss den Schülern auf intelligente Weise erklärt haben, warum ihr diese Haltung nicht gefällt. Denn die Jungen und Mädchen haben daraufhin ein erstaunliches Projekt aus der Taufe gehoben.
Hätte die Lehrerin sich nur geärgert, geschimpft, sich innerlich von dem Schüler abgewandt, hätte sich nichts bewegt. Ich kann mir überlegen: Wie kann ich reagieren, um meinen Ärger fruchtbar zu machen? Ihr Beispiel zeigt, dass sich das lohnt!
Ihr
Clemens Behr
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November 2015)
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Geduld heißt das Zauberwort . Ungeduld liegt dem, was der Autor des Textes mit Ärger bezeichnet, zugrunde. Manche Begriffe verbreiten sich über das Internet wie ein Lauffeuer, so auch der Begriff `Ärger`. Man glaubt, von Hinz bis Kunz , berechtigt zu sein, seine Meinung, seinen berechtigten Ärger, all seine unausgegorenen Gedanken und Gefühle in den Äther hinauszuschreien, hinausschreien zu müssen, hinausschreien zu dürfen.
Aber ebenso weiß nahezu jeder heute, wie verletzend es sein kann, ( Der Redakteur Clemens Behr äußert es in seinem Einleitung ) , wenn man mit Ärger auf Schwierigkeiten reagiert. Und es ist nicht notwendiger Weise Gleichgültigkeit, wenn Ärger, oder eine heftige Gefühlsäußerung angesichts großer Katastrophen, ausbleibt. Oft ist eine stille Reaktion viel erschütternder als ein heftiger Ausbruch. Besonnenheit ist daher viel wichtiger , innere Ruhe, Ausgeglichenheit des Geistes als lautes Protzgeschrei , wie es zur Zeit Hollande von sich gibt, und viele andere mit ihm.