4. Dezember 2020

Vertrauen schenken

Von nst5

Standpunkt

Herauszufinden, wo und wie Grenzen gesetzt werden müssen, ist eine ständige Gratwanderung. Da gibt es keine Rezepte oder Patentlösungen. Es geht immer um ein wechselseitiges Geschehen.
Kinder suchen Grenzen. Natürlich hängt es von ihrem Alter ab. Oft hat es aber damit zu tun, dass sie ausprobieren und wissen wollen, wie weit sie gehen können oder auch, wie weit jemand mit ihnen mitgeht. Das hat mit Loslassen, Abgrenzen zu tun, dem notwendigen Ausloten des Verhältnisses vom Ich zum Du. Da gehen wir miteinander einen Weg – und kommen dann irgendwann an einen Punkt, wo ich sagen muss: Bis hierher und nicht weiter!
Als Mutter bin ich eher eine Glucke: Ich ängstige mich schnell und mache mir Sorgen. So besteht die Gefahr, dass ich klammere und immer die Kontrolle haben möchte. Das gehört zu meinen persönlichen Grenzen, und ich kann da nicht so leicht aus meiner Haut. Aber rational und mit dem Herzen verstehe ich, dass das nicht gut ist.
Was mir geholfen hat, ist folgende Überlegung: „Ich möchte ganz tiefes Vertrauen in die Kinder haben! Und in Jesus in ihnen, dass er sie richtig leitet und führt!“ Wenn ich dann Grenzen setzen muss, dann nicht, weil ich ihnen nicht vertraue, sondern weil ich ein bisschen weiter sehe, einen weiteren Horizont habe als die Kinder oder Jugendlichen, und weil ich meine Verantwortung wahrnehmen muss und die Grenze zu ihrem Wohl ist.
Das hat mir geholfen loszulassen, den Kindern mehr Freiraum zu geben. Dabei habe ich erfahren, dass sie daran wachsen und reifen, auch wenn sie dabei vielleicht mal auf die Nase fallen.
Und ich habe erlebt: Das Vertrauen, das ich schenke, kommt zurück. Und wenn dann was nicht so gut geht, öffnen sie sich mir gegenüber eher und wir können gemeinsam überlegen, wie wir es angehen.
Ich habe also gelernt: Ich darf Grenzen nicht zu eng setzen. Aber auch: Nur wenn ich Grenzen setze, schaffe ich einen Raum, in dem sich die Kinder bewegen können. Um schwimmen zu lernen, begibt man sich normalerweise auch nicht in einen Fluss, sondern in ein Bassin. Das Bassin ist begrenzt, damit es mit Wasser gefüllt werden kann, die Tiefe ist definiert. Größe und Tiefe des Bassins kann ich den Schwimmfähigkeiten anpassen. Im Fluss zu schwimmen ist dann „Kür“.
In der Schule bin ich mit dem Alter ziemlich gelassen geworden und stresse mich heute deutlich weniger, auch wenn gesetzte Grenzen einmal nicht eingehalten werden. Die Schülerinnen und Schüler dürfen auch erleben, dass ich nachgebe. Das ist menschlich. Ich bin keine Maschine, die nie abweicht. Aber ich muss zugeben, dass es manchmal auch einfacher ist nachzugeben. Und wenn es aus Bequemlichkeit, Müdigkeit oder Lustlosigkeit passiert, ist es nicht gewinnbringend.
Mein Fazit: Wie und welche Grenzen man setzt, ist Beziehungssache. Es geht um Vertrauen. Und darum, beständig das Gespräch, die Beziehung zu suchen. Gerade bei Jugendlichen. Sonst gehen sie nicht mit!
Und: Es ist eine dynamische Sache. Man entwickelt sich, macht verschiedene Erfahrungen, lernt daraus und wächst daran; manches bewährt sich, anderes nicht. Es ist ein Weg, auf dem man gemeinsam unterwegs ist und bleibt.

Foto: privat

Susanne Ganarin,
unterrichtet seit 20 Jahren in Teilzeit an der Oberstufe 12- bis 15-Jährige. Davor war sie „Vollzeit-Familienfrau“; seit zwölf Jahren lebt sie getrennt von ihrem Mann. Mit ihren fünf inzwischen erwachsenen Kindern hat sie unterschiedlichste Erfahrungen zum Thema „Grenzen“ gemacht. Auch die Schule ist diesbezüglich ein ständiges Übungsfeld für sie.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November/Dezember 2020)
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