6. Oktober 2021

Entschlossen und demütig

Von nst5

Was macht gute Führung aus?

Kann man lernen zu führen oder muss man das mitbringen? Wie finden sich gute Führungskräfte? Fragen an den Coach und Berater Andreas Tapken.

Wir wollen über Führung sprechen, Herr Tapken. Das ist ein schwieriger Begriff.
In der Tat. Gerade im Deutschen ist der Begriff Führung belastet. Das Vertrauen, das wir Führungsfiguren gegeben haben, ist tief enttäuscht worden. Manche weichen deshalb aus und sprechen lieber von Leitung. Ich finde es trotzdem gut, von Führung zu sprechen. Ohne Leadership, ohne Führung geht es nicht. Natürlich ist es wichtig, sich darüber zu verständigen, was mit Führung gemeint ist.

Und zwar?
Führung hat zwei Dimensionen: Es geht zum einen um Aufgaben und darum, dass diese kompetent und richtig bearbeitet werden; dass etwa ein Produkt zur richtigen Zeit in der notwendigen Qualität fertig wird. Das würde ich allerdings eher als Management bezeichnen. Da liegt der Fokus vor allem auf der Aufgabe.
Führung im eigentlichen Sinne hat hingegen einen starken Bezug auf die Menschen und ist vor allem ein Beziehungsgeschehen. Der Fokus ist: Wie bekomme ich die richtigen Leute? Wie motiviere ich sie? Wie kann ich sie fördern und entwickeln? Wo wollen wir eigentlich hin? Das sind typische Leadership- oder Führungsfragen.
Anders gesagt: Management ist eher gegenwartsbezogen – das, was da ist, möglichst ertragreich und effektiv zu gestalten. Führung ist eher zukunftsbezogen.

Was macht gute Führung aus?
Eine Untersuchung hat gezeigt, dass Führungskräfte nachhaltig erfolgreich sind, die zwei Eigenschaften kombinieren, die auf den ersten Blick etwas widersprüchlich scheinen: Entschlossenheit und Demut. Klar wissen, was ich will. Zu Überzeugungen stehen. Ziele erreichen wollen. Etwas voranbringen wollen. Leute mitnehmen können. Und: Mich zurücknehmen können. Anderen Raum gewähren. Das Team feiern. Beim Erfolg die anderen in den Vordergrund stellen. Gut zuhören können. Empathisch sein.

Kann man Führung lernen? Oder hat man das einfach?
Man kann sehr viel lernen. Gute Führung ist zu einem großen Teil Handwerk, und Handwerk kann man lernen. Wie man sorgsam kommuniziert, das kann man lernen, auch wenn es manchmal mühsam ist. Wie man Feedback gibt, das kann man lernen. Wie entwickelt man Strukturen? Da gibt es Prozedere, die sich gut bewährt haben. Die meisten Firmen oder Freiwilligenorganisationen machen Kurse für ihre Führungskräfte, weil sie davon ausgehen, dass man es lernen kann.

Geht es nicht so sehr um Charisma?
Nein. Früher ging man davon aus, dass Führungskompetenz angeboren ist, dass es Charisma braucht: Man hat es oder man hat es nicht. Das hat sich verändert. Ein Großteil ist wirklich Handwerk. Wenn man das Handwerk einmal beherrscht, dann ist der Rest Kunstwerk.

Ist eher Persönlichkeit gefragt?
Es gibt tatsächlich etwas, das den Künstler vom guten Handwerker unterscheidet. Der Künstler kann das Handwerk auch, aber er bringt es zu einer gewissen Bravour, weil da vielleicht noch einiges von seiner Persönlichkeit mit hineinkommt.
Hat sich jemand Dinge nur antrainiert oder hat er sie verinnerlicht? Führt jemand ein Feedback-Gespräch, weil er gelernt hat, wie das geht, oder vermittelt sie oder er einem Mitarbeiter das Gefühl: „Ich meine es ernst mit dir. Du bist mir bedeutsam und ich will dich unterstützen“? Das meine ich mit dem Unterschied von Gelerntem und Persönlichkeit.

Der Weg nach oben braucht Ellenbogen. Stimmt das?
Ich würde sagen, man muss Macht für sich bejahen. Das ist ein heikles Thema. Jemand, der nach Macht strebt, ist uns potenziell verdächtig. Aber Macht ist erst einmal Gestaltungswille; die Freude daran, Menschen zu etwas zu bewegen, in eine Richtung mitzunehmen.

Ist das nicht etwas zu positiv?
Problematisch wird es, wenn sich dieser Machtinstinkt mit negativen Anliegen verbindet, etwa möglichst viel Geld zu bekommen oder sich über andere zu erheben oder sie gar fertigzumachen. Macht bietet aber auch die Möglichkeit, Werte und Überzeugungen stark zu machen. Macht sollte immer mit einem starken Wertegerüst einhergehen. Denn wenn jemand einmal Macht hat, braucht es noch viele andere Dinge.

Nämlich?
Eine gewisse Neugier auf sich selbst und die Fähigkeit zur Selbstreflexion sind sehr wichtig. Die Bereitschaft, sich etwas sagen zu lassen, empfänglich zu sein für Kritik.

Was fördert die Bereitschaft, sich für Leitungsaufgaben zur Verfügung zu stellen?
Geld ist in der Regel nicht entscheidend. Menschen lassen sich nur kurzfristig durch finanzielle Anreize motivieren. Wenn jemand den Eindruck hat, so viel zu verdienen, dass er oder sie damit ordentlich leben kann, dann ist Geld kein längerfristiger Motivator mehr.
Andere Motivatoren könnten Anerkennung sein oder Freiraum. Viele Menschen haben Gestaltungswillen; sie sind bereit, Verantwortung auf sich zu nehmen. Sie brauchen Freiraum und Gestaltungsmöglichkeiten. Zurzeit wird ein Führungsmodell populär, das „Servant Leadership“ heißt, also dienende Führung. Es verbindet Führung mit einer hohen Werteorientierung und der Bereitschaft, anderen und der Gemeinschaft zu dienen.

Was treibt Menschen an?
Es gibt drei Hauptmotivatoren, die alle mit dem Thema Führung zu tun haben. Der eine Motivator ist Macht. Macht als Freude daran, mit Menschen etwas zu gestalten. Der zweite Motivator ist, Teil eines Teams sein. Das sind Leute, die ein Team oder eine Gruppe von Menschen zusammenhalten können. Der dritte Motivator ist Leistung. Das sind Leute, die einfach Freude daran haben, gute Leistung abzuliefern. In der Regel sind einer oder zwei dieser Motivatoren in einem Menschen besonders ausgeprägt.

Wie findet man gutes Führungspersonal?
Sobald eine Organisation eine gewisse Größe erreicht hat, sollte sie so transparent wie möglich machen, wie man sich nach oben entwickeln kann und welche Kriterien an eine Führungskraft angelegt werden. Es hat etwas Beruhigendes, wenn klar ist, welche Erwartungen mit bestimmten Positionen verbunden sind.

Sind heute weniger Menschen bereit, eine Leitungsaufgabe zu übernehmen?
Ich glaube nicht, dass Menschen heute weniger bereit sind, sich reinzuhängen. Im beruflichen Kontext achten sie aber mehr darauf, dass sie Arbeit und Privatleben gut vereinbaren können. Sie sind vielleicht nicht bereit, 60 oder mehr Stunden in der Woche zu arbeiten.
Wenn Freiwilligenorganisationen größere Mühe haben, Leute zu finden, die Verantwortung übernehmen, hängt das eher damit zusammen, dass unser Alltag sehr anspruchsvoll geworden ist. Wir müssen nicht nur drei oder fünf Bälle in der Luft halten, sondern manchmal zehn oder 15. Dann braucht man keinen 16. Ball mehr.

Macht muss kontrolliert werden.
Das stimmt und hat damit zu tun, dass es keine machtfreien Räume gibt.
Wir wünschen uns sehr, dass alle gleich, auf Augenhöhe sind. Aber das ist eine Illusion. Wo Menschen zusammen sind, nehmen sie Einfluss aufeinander. Es entwickeln sich Hierarchien, Zuständigkeiten und Machtverhältnisse.
Wenn es keine machtfreien Räume gibt, dann muss Macht kontrolliert und gestaltet werden.

Ist Missbrauch von Macht die Regel?
Schon in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts hat man in den USA das Milgram-Experiment durchgeführt. Man hat festgestellt, dass über 60 Prozent der Teilnehmer bereit waren, absoluten Gehorsam zu leisten, wenn eine Autorität das von ihnen verlangt hat. Macht findet in jeder Kultur Gehorsam.
Organisationen brauchen funktionierende Machtkontrolle, um ihre Mitglieder zu schützen. Sonst sind sie schnell unglaubwürdig.

Gerade die katholische Kirche steht diesbezüglich in der Kritik.
Ich denke, das geschieht nicht zu Unrecht. Im Kern ist ihre Struktur monarchisch. Monarchisch meint ja, dass es nur einen Ursprung von Macht gibt. Theologisch gesehen ist dieser Ursprung Christus. Aber im Grunde wird Macht vom Papst her über die Bischöfe verteilt, und die Machtkontrolle funktioniert nicht gut. Da stellen sich unter anderem die Fragen nach einer Begrenzung der Amtszeit auch von Bischöfen und wie Personen rechtzeitig ihrer Ämter und Aufgaben enthoben werden können, wenn sie sich als nicht geeignet erweisen.

Es passiert auch, dass Menschen, die Führungsaufgaben übernehmen, angegriffen werden. Wie können sie geschützt werden?
Ich weiß nicht, ob das geht. Wer eine Führungsposition übernimmt, muss robust sein und eine dicke Haut haben. Das gehört leider dazu.
Man kann darauf hinwirken – aber das ist ein langfristiger kultureller Prozess –, Anerkennung und Dankbarkeit zu entwickeln für Menschen, die sich in den Dienst der Gesellschaft stellen. Jemand, der viele Stunden in der Woche arbeitet, auf Großteile seines Privatlebens verzichtet, ist für mich achtenswert. Ich bin dankbar, dass es solche Menschen gibt.

Danke für das Gespräch!

Peter Forst

Foto: (c) Paul Epp

Andreas Tapken,
Jahrgang 1965, ist promovierter Psychologe. Er hat in Münster, Rom und Chicago Theologie und Psychologie studiert und als Seelsorger und Psychotherapeut gearbeitet. Seit mehr als 25 Jahren berät und begleitet er Menschen und Organisationen in Entwicklungen, Veränderungen und Konflikten. Seit 2014 ist er selbstständiger Berater, Coach und Dozent für Wirtschaftspsychologie an der FOM-Hochschule in Essen.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2021)
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