3. Februar 2022

Aus der Einsamkeit lernen

Von nst5

Mit 16 ist Jana Jaros ausgezogen;

seit sie 17 ist, lebt sie allein. Die Einsamkeit ist nicht immer leicht zu ertragen, hilft ihr aber, sich selbst besser kennenzulernen.

Foto: privat

Jana Jaros 18, stammt aus Stettlen im Kanton Bern. Vor gut einem Jahr hat sie eine Ausbildung zur Köchin in einem Hotel in Interlaken begonnen.

Mit 16 Jahren habe ich eine Ausbildung zur Köchin in einem Fünf-Sterne-Hotel begonnen. Da dieses aber nicht in meiner Heimatstadt liegt und ich einen viel zu langen Arbeitsweg gehabt hätte, bin ich von zu Hause ausgezogen.
Acht Monate habe ich im Personalhaus des Hotels gewohnt, wo ich immer von vielen Menschen, die alle meine Mitarbeiter waren, umgeben war. Dann konnte ich mir die Miete nicht mehr leisten, weil meine Mitbewohnerin überstürzt auszog, und bin in den Nachbarort gezogen. Seit sechs Monaten lebe ich nun in einer kleinen Wohnung im Keller eines alten Hauses. Dort war ich allein, hatte keine lauten Nachbarn mehr und die engsten Mitarbeiter nicht gleich vis-à-vis.
Obwohl ich mich dazu entschieden hatte, allein zu wohnen, fühlte ich mich plötzlich einsam. Ich kenne außerhalb von meinem Arbeitsplatz kaum jemanden in meiner Umgebung, geschweige denn jemanden in meinem Alter. Viel Zeit, um neue Leute kennenzulernen, habe ich wegen meiner intensiven Arbeit nicht.
Wenn es mir die Zeit erlaubt, fahre ich in meine Heimatstadt zu meinem Freund oder auch mal zu meiner Familie, um so der Einsamkeit zu entfliehen. Oft merke ich aber, wie ich zum Beispiel durch Social Media versuche, die Einsamkeit zu ignorieren. Ich lenke mich dann so sehr ab, dass ich gar nicht mehr bemerke, dass ich einsam bin.
Ich denke, es ist eine Herausforderung, die Einsamkeit nicht zu verdrängen, sondern sich aktiv mit ihr zu beschäftigen. Denn auch zwischen Hunderten Menschen kann man sich einsam fühlen! Je mehr ich mich damit auseinandersetze, allein zu sein, umso einfacher werden einsame Momente. Ich denke, dass man in der Einsamkeit viel über sich selbst lernen kann.

Reflektion und Erkenntnis brauchen Zeit, und in der Einsamkeit gibt es durchaus Platz für diese Gedanken. Ich habe zum Beispiel viel über meine Werte und Überzeugungen nachgedacht. Was sind meine moralischen Einstellungen? Außerdem befasse ich mich mit meiner Zukunft und erträume mir sie gerne. Ich denke darüber nach, wo ich einmal hinmöchte und wie ich mein Umfeld gestalten werde. Mir wird immer mehr bewusst, was ich wirklich will und was ich für richtig halte.
Ich denke, dass diese Klarheit über sich selbst etwas unglaublich Wertvolles ist und dass es sich lohnt, die harte Zeit der Einsamkeit zu nutzen, um die einzige Person in dieser Gegenwart kennenzulernen: sich selbst.
Jana Jaros

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2022)
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