4. Februar 2022

Innehalten und Nähe leben

Von nst5

Es gibt Aussagen, die mich aufhorchen lassen,

nicht zuletzt deshalb, weil sie ganz tief in mir etwas anklingen lassen. Manchmal kann ich gar nicht sofort fassen, was das ist. Dann geht die Aussage über Tage mit mir.

Gerade passiert es mir so mit einem Gedanken, den die Präsidentin der Fokolar-Bewegung, Margaret Karram, kürzlich äußerte: „Machen wir langsam, halten wir inne“, regte sie an. Mir kam sofort: Was? Gerade jetzt, nach all diesen Monaten, wo ich sehnlich darauf warte, dass der Corona-Spuk endlich vorbei ist, das „normale Leben“ wieder losgehen kann? Als hätte sie diesen Einwand gehört, stellte Margaret Karram klar, dass es ihr nicht darum ging, nichts zu tun, sondern vielmehr darum, Beziehungen zu leben: nach innen, zu Gott, und nach außen, zu den Mitmenschen. Ohne Eile. Zeit haben, um da zu sein, hinzuhören, zuzuhören – in erster Linie denjenigen, denen es nicht gut geht. Denn, so fuhr sie sinngemäß fort: „Ohne diese Aufmerksamkeit füreinander sind wir immer am Laufen, Rennen, Machen – und verpassen dabei viele Gelegenheiten.“

Titelbild: (c) iStock (Grandfailure, bearbeitet von elfgenpick)

Mit ein paar Tagen Abstand musste ich zugeben, dass ich mich ein wenig ertappt fühlte. Es stimmt, durch Corona ist das Leben an vielen Stellen runtergefahren. Trotzdem ist es dicht: Manches erfordert mehr Überlegung, Planung, Absprachen; Spontanes ist so gut wie nicht möglich. Dennoch habe ich oft den Eindruck, dass ich nicht hinterherkomme, nicht genug Zeit habe und vieles nicht unterkriege. „Das Leben läuft, und ich laufe mit“, hatte ich ein paar Tage vorher gesagt.
In dieser Ausgabe geht es um Menschen, die sich – aus unterschiedlichsten Gründen – einsam fühlen, und darum, dass das in unserer Gesellschaft ein immer bedrängenderes Thema ist. Der Zukunftsforscher Matthias Horx führt es auch darauf zurück, dass gesellschaftlich so vieles im Umbruch ist, dass bisher bewährte Lebensformen nicht mehr tragen. Gleichzeitig macht er aber Hoffnung: Es gibt Gegentendenzen,weil die gesellschaftlichen Heilungskräfte stark sind und der Wunsch nach Bindung und Nähe tief in uns angelegt ist.
Nähe leben, das braucht Zeit. „Wenn der andere das Gefühl hat, dass ich keine Zeit habe, wird er sich nicht öffnen“, sagte Margaret Karram bei der erwähnten Gelegenheit. Das gilt wohl vor allem, wenn es um Fragen, Zweifel, Bedürfnisse und Schwächen geht. Sich Zeit nehmen – das ist in unserer rasend schnellen Welt eine Herausforderung, der es sich immer neu zu stellen gilt. Persönlich und gemeinsam, in den Familien, Gemeinschaften, in Arbeitswelt und Freizeit, in Gemeinden und Nachbarschaften.
Innehalten und Nähe leben, meint: sich kümmern, Sorge tragen. Nicht als Arbeitsprogramm und Aktivitätenliste, sondern als immer neue Grundhaltung. Vielleicht sind genau diese Gedanken es wert, auch im und durch das neue Jahr mit mir, mit uns zu gehen.
Vom ganzen Redaktionsteam wünschen wir Ihnen von Herzen alles Gute dafür! Bleiben Sie gesund und gönnen Sie sich immer neu die Zeit zum Innehalten und dafür, sich und anderen nah zu sein,
Ihre

Gabi Ballweg

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(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2022)
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