Fragen stellen statt Antworten geben
Schon immer haben sich junge Menschen für eine bessere
Zukunft eingesetzt. Was ist das besondere an der „Generation Klima“? Im Gespräch mit Mathias Kaps, der seit vielen Jahren Jugendliche „stark macht“.
Herr Kaps, Sie sind seit vielen Jahren mit jungen Menschen befasst. Wie erleben Sie die „Generation Klima?“
Sie ist in meinen Augen die erste Generation, die ihr Leben tatsächlich an den beiden Haltungen orientiert, die es als Slogan schon lange gibt: global denken und regional handeln.
Sie geht auf die Straße, um Politik und Wirtschaft zu konsequentem und weltweitem Klimaschutz aufzurufen. Und sie achtet im eigenen Leben auf nachhaltiges Handeln und bewussten Konsum.
Gilt das für die ganze Generation? Ist sie wirklich so einheitlich?
Das Thema Nachhaltigkeit ist allen wichtig, aber nicht mit der gleichen Dringlichkeit. Sicher spielen hier unter anderem die Zukunftsaussichten eine Rolle. Wer sich mehr Sorgen um seine Lebensperspektive machen muss, für den ist das Thema Nachhaltigkeit nicht unbedingt ganz oben auf der Liste.
Auffällig ist auch, dass es durchaus unterschiedliche Auffassungen über den Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft gibt: Setzt man vor allem auf den technischen Fortschritt und damit auf die Wirtschaft? Oder eher auf gesetzliche Rahmenbedingungen und damit auf die Politik? Das hat sich etwa bei der Bundestagswahl in Deutschland gezeigt, wo Grüne und Liberale – also diese beiden Ansätze – bei den jungen Wählerinnen und Wählern gleichauf vorne lagen.
Welche Rolle spielt der Klimaschutz bei jungen Menschen in anderen Teilen der Welt?
Vor kurzem war ich in Kenia. Dort ist – wie in weiten Teilen des globalen Südens – die Klimafrage einerseits wichtiger als in Europa, weil die Menschen dort die Folgen schon heute stärker spüren; andererseits ist sie weniger wichtig, weil der afrikanische Kontinent für die Klimaschäden nur in geringem Maße verantwortlich ist. Während Deutschland knapp zwei Prozent des Kohlendioxid-Ausstoßes weltweit verursacht (A 0,2 Prozent, CH 0,1 Prozent), ist ganz Afrika gerade einmal für dreieinhalb Prozent verantwortlich.
Wie ist die Stimmung im Süden der Welt?
Eher resigniert. Gerade junge Menschen spüren große Ohnmacht angesichts der Korruption in ihren Ländern. Für viele ist der einzige Hoffnungsschimmer, auf die Emigration hinzuarbeiten. Wenn wir manchmal etwas abschätzig von „Wirtschaftsflüchtlingen“ sprechen, verkennen wir die existenzielle Not dieser Menschen, die durch den Klimawandel noch einmal verschärft wird.
Was erwartet die junge Generation von den Erwachsenen?
Sie möchten nicht nur mitreden, sondern auch mitentscheiden können. Jugendliche und junge Erwachsene fühlen sich oft nicht ernstgenommen. Ihre Demonstrationen und Schulstreiks kann man also durchaus als Hilfeschrei verstehen. Sie erkennen mehr und mehr, dass ihre Möglichkeiten, politisch mitzuentscheiden, sehr gering sind. Damit wollen sich viele nicht länger abfinden.
Von den Menschen mit Macht in Wirtschaft und Politik erwarten sie, dass sie mehr tun; dass sie aus den Erkenntnissen, die ja seit langem auf dem Tisch liegen, schnell die notwendigen Konsequenzen ziehen.
Junge Menschen erleben die Erwachsenen oft als Bremser. Warum, so fragen sie, gibt es etwa in Deutschland immer noch keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, obwohl sich doch seit Jahren eine stabile Mehrheit dafür ausspricht?
Wenn Entscheidungen, die auf der Hand liegen, immer wieder aus zweifelhaften Begründungen nicht getroffen werden, riskieren wir, dass sie sich von der Politik und vielleicht auch vom demokratischen System abwenden.
Empfinden sie es als ungerecht, dass sie nun ausbaden müssen, was wir Erwachsenen versäumt haben?
Sicher gibt es dieses Gefühl – und es ist ja auch berechtigt. Aber ich nehme nicht wahr, dass sie der Erwachsenengeneration pauschale Vorwürfe machen. Sie sehen deren Bemühungen in der Vergangenheit und respektieren sie.
Ihr Blick geht eher nach vorne: Wie schaffen wir es zusammen mit allen Generationen, das System so zu ändern, dass aus den Erkenntnissen die notwendigen Schlüsse gezogen werden?
Ihre Frage ist weniger: Warum habt ihr früher nichts getan? Sie lautet eher: Warum tut ihr heute so wenig?
Was meinen sie mit: das System ändern?
Ein politisch sehr aktiver Jugendlicher sagte mir kürzlich: „Unser System ist 70 Jahre alt und hat sich zu wenig entwickelt.“ Es werde vor allem auf Wahlen hingelebt. Im digitalen Zeitalter gebe es jedoch viel mehr Möglichkeiten, Menschen in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Jugendliche wollen mitentscheiden können. Ihre Meinung gezielt einzuholen und deutlich zu machen, dass sie berücksichtigt wird: Dazu müssen Wege gefunden werden.
Auch früher haben sich junge Menschen für die Umwelt eingesetzt. Was ist heute anders?
Da gibt es eine ganze Menge: Die Dringlichkeit steht deutlicher vor Augen. Allen ist klar: Wenn wir jetzt nicht handeln, ist es zu spät. Außerdem sind die Kenntnisse der jungen Leute größer. Die Wissenschaft steht eindeutiger an ihrer Seite und belegt, dass ihre Forderungen richtig sind. Viele junge Menschen haben eine Auslandserfahrung gemacht und sind über Grenzen hinweg vernetzt. Sie spüren die Klimafolgen im eigenen Land und wissen um die Schäden in den anderen Teilen der Welt.
Was haben Sie von dieser Generation gelernt?
Vor allem eines: selbst konkreter zu werden. Sie fragen nach meiner Konsequenz im Handeln: Versuchst du, auf Plastik zu verzichten? Warum fliegst du so viel? Kaufst du dein Gemüse beim Bauern?
Wenn ich jetzt an der Fleischtheke stehe, frage ich mich immer wieder, ob es nicht auch Tofu sein kann. Oder ich versuche, verpackungsfrei einzukaufen.
Ich hinterfrage mein Konsumverhalten mehr. Allerdings gibt es noch viel Luft nach oben.
Was sollten wir alle lernen?
Wir sollten uns ihre Haltung zu Eigen machen: Regional handeln und bewusster leben auf der einen Seite und die Zukunft des ganzen Planeten im Blick haben. Oft laufen wir Erwachsenen unbewusst Gefahr, so zu leben als gäbe es kein Morgen. Viele unserer Gewohnheiten sind schlecht für das Klima. Vielleicht kann uns der Gedanke an die nächste Generation helfen, die eine oder andere Gewohnheit zu ändern: „Ich mache es für dich, für euch.“
Noch wichtiger aber scheint mir, dass wir der jungen Generation zuhören; dass wir mehr Fragen stellen als Antworten geben. Fragen wir sie: Wie wollt ihr ernstgenommen werden? Als Gesellschaft sollten wir Foren dafür schaffen.
Hat die „Generation Klima“ selbst einen „blinden Fleck“?
Manchmal habe ich den Verdacht, dass viele junge Leute bei aller Einsicht in Umweltverschmutzung, Nachhaltigkeit und bewusstem Lebenswandel den Bereich Elektronik, Technik und Internetkonsum ausklammern. Ich erlebe wenig, dass sie etwa ihren Stromverbrauch oder die ökologisch und sozial fragwürdige Herkunft von Materialien hinterfragen und ihren Konsum in diesem Bereich zurückfahren.
Was an dieser Generation sehen Sie kritisch?
Da sehe ich vor allem zwei Dinge: Zum einen stehen sie in der Versuchung, sich ins Private zurückzuziehen. Zumindest in der eigenen Umgebung soll es eine wohlige Atmosphäre geben, wenn schon alles andere so unsicher ist. Dieses so genannte Cocooning halte ich für gefährlich. Glücklicherweise geht diese Tendenz inzwischen wieder zurück.
Eine zweite Gefahr sehe ich darin, das eigene Empfinden zum einzigen Maßstab für das Handeln zu machen – sowohl im persönlichen als auch im gesellschaftlichen Leben. Da würde ich mir manchmal eine größere Offenheit für die Sichtweise anderer wünschen. Beides ist wichtig: die ganz persönliche Haltung und der gemeinschaftliche Blick. Papst Franziskus hat dafür in seiner Enzyklika Laudato si‘ (Nr. 137ff) den Begriff „ganzheitliche Ökologie“ geprägt.
Was möchten Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Sucht den Dialog mit uns, auch wenn wir Alten manchmal schwierig sind!
Und: Seid ruhig noch lauter. Stellt uns mutiger in Frage. Beteiligt euch aktiv an Prozessen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Peter Forst

Mathias Kaps
Jahrgang 1965, war ursprünglich Lehrer. Seit 2006 ist er in der Jugendarbeit und Jugendbildung sowie als Begleiter und Coach von Jugendlichen und jungen Erwachsene unter anderem im Starkmacher-Verein tätig. Junge Menschen sollen gerade in Übergangszeiten ihre Stärken und Fähigkeiten entdecken und einbringen können.
Er ist Sozialunternehmer und Geschäftsführer der Starkmacher Impact GmbH. Sie möchte Investitionen in soziale und ökologische Projekte ermöglichen. Außerdem vertritt er die Nichtregierungsorganisation „New Humanity“ bei den Vereinen Nationen in Wien.
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2022)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München
Am Mittwoch, den 12.07.2022 von 19:30 Uhr – 21:00 Uhr werden wir dieses Thema im Klaus-Hemmerle-Forum vertiefen.
Unter dem Motto „Fragen stellen statt Antworten geben“, ist Mathias Kaps an diesem Abend im Gespräch mit Farid (22), Juliane (23) und Dominik (24) vom Starkmacher-Verein über die Fragen:
– Was ist die „Generation Klima“?
– Was erwartet sich die junge Generation von den Erwachsenen?
– Was kann ich von dieser Generation lernen?
Ganz im Sinne des Klaus-Hemmerle-Forums will der Abend eine Gelegenheit für Auseinander-setzung, Verständigung und Begegnung zwischen den Generationen bieten. In Zeiten des Wandels braucht es Momente der Vergewisserung und Perspektiven für gemeinsames Handeln – und die Erfahrung, dass sich der Weg im Gehen unter die Füße schiebt. Wir laden dazu ein.
Die Anmeldung wird erbeten bis zum 10.07.2022 nur über folgende Mailadresse: anmeldung@kh-forum.org . Sie erhalten danach den Zoom-Link für die Teilnahme.
https://www.kh-forum.org/veranstaltungen/2022-07-12-was-ist-das-besondere-an-der-generation-klima