3. April 2023

Manchmal reicht ein schiefer Blick

Von nst5

„Ich erlebe mich beständig im ‚Korrekturmodus‘.

Egal, was jemand sagt oder tut, ich habe fast immer etwas auszusetzen. Selbst wenn ich nichts sage, merken die anderen, dass ich es eigentlich besser wüsste. Das wirkt belehrend und nervt – auch mich selbst. Was tun?“

Udo Stenz
Kath. Pfarrer, Queidersbach
Wer wahrnimmt, dass das eigene Verhalten nicht in Ordnung ist, kann versuchen, die Denk- und Blickrichtung zu ändern. Jesus bezeichnet das mit dem Begriff „Umdenken“, den wir gerne mit „Umkehr“ übersetzen. Umdenken kann heißen: denken wie Gott. Er hat das Kleine, Törichte, Unvollkommene, Unscheinbare, … erwählt (vgl. 1 Korintherbrief 1,27f). Er erweist seine Gnade in der Schwachheit (vgl. 2 Korintherbrief 12,9f). Der Gedanke daran kann uns Gelassenheit im Umgang mit den Schwächen der anderen geben. Umdenken kann heißen: mit der Liebe ernstmachen, die den Nächsten so meint wie mich selbst. Der andere darf sein – wie ich sein darf. Der andere darf Fehler machen – wie ich. Der andere darf seine Lebensweise haben – genau wie ich. Umdenken kann heißen: nicht Perfektion um jeden Preis verlangen, den guten Willen sehen, mit dem halb vollen Glas zufrieden sein. Die Haltung des Umdenkens kann sich als Umkehr zeigen, indem ich mein Verhalten anpasse, der Situation angemessen gestalte. Oft passt ein wohlwollendes Lächeln, gerade dann, wenn ich Unvollkommenheit wahrzunehmen meine. Es ist der Mühe wert! Wo ein Lächeln den Vorrang vor dem Nörgeln hat, ist schon viel gewonnen.

Andrea Hendrich
Familientherapeutin, Tutzing
Jeder Mensch hat in seiner Kindheit Werte mitbekommen, bestimmte Muster entwickelt und sich Verhaltensweisen angewöhnt, um Probleme zu lösen. Manche Verhaltensweisen waren in der Kindheit wichtig, vielleicht sogar „lebens-not-wendig“, sind jedoch im Erwachsenenalter nicht mehr hilfreich; jetzt blockieren sie uns und andere.
Für einen Menschen, der ständig im „Korrekturmodus“ ist, könnten perfektes Arbeiten, Kritik und Selbstkritik hohe Ziele sein. Er will Aufgaben korrekt umsetzen, sein Wissen zeigen und weitergeben. Er hat gelernt, dass er auf diesem Weg erfolgreich ist, Anerkennung und Wertschätzung bekommt.
Einem solchen Menschen rate ich zunächst, sich in Ruhe die eigenen Muster anzusehen und diesen erst einmal liebevoll zu begegnen: Hohe Erwartungen an sich selbst und andere, Selbstkritik und das Bestreben, die Dinge gut zu tun, sind ja durchaus positive Eigenschaften.
Als Nächstes gilt es dann, Raum für eine neue Erfahrung zu schaffen, nämlich die, Fehler machen zu dürfen und trotzdem anerkannt und geliebt zu sein! Wer von uns findet nicht die kleinen „Macken“ am anderen bisweilen entlastend und liebenswürdig?
Selbstliebe und Selbstannahme sind also erste Schritte dazu, auf Dauer auch Fehler bei anderen stehen lassen zu können und so mehr innere Ruhe zu gewinnen.

Veronika Dörrer
Pharmazeutin, Wiener Neudorf
Als jüngstes Kind habe ich schon in meiner Familie gelernt, schnell zu antworten. Auch in meinem beratenden Beruf bin ich geübt, rasch auf den Punkt zu kommen und wesentliche Informationen weiterzugeben. Es bedeutet mir viel, mit meinem umfassenden Hintergrundwissen anderen zu helfen und, ja, oft bin ich von meiner Sicht überzeugt.
Im privaten Umfeld steht mir diese Kompetenz immer wieder im Weg. Bin ich überhaupt gefragt? Ich erlebe Gespräche, die nach meinem Kommentar abbrechen, und das lässt mich nachdenklich werden, ob ich eigentlich gut zugehört habe. Nur im Zuhören entdecke ich neue Sichtweisen und kann auch meinen Horizont erweitern.
Gerade in der Familie führt der Korrekturmodus automatisch zu Spannungen. Es geht nicht nur um Worte, manchmal reicht ein schiefer Blick, um die Stimmung kippen zu lassen. Im schlimmsten Fall bin ich „raus“, verliere das Vertrauen der anderen. Egal, wie recht ich vielleicht habe, egal, wie gut ich es meine, es geht zuerst allein darum aufzunehmen, was den anderen bewegt. Und da helfen Fragen mehr als Antworten.
Das Richtige im anderen unterstützen kann ich nur, wenn ich zuerst einmal vergesse, welche Lösungen ich bereits kenne. Vielleicht bin ich dann ja auch wieder gefragt.

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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, März/April 2023.
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