1. August 2023

Das Gefühl von Geborgenheit

Von nst5

Gemeinsames Essen ist mehr als nur satt zu werden.

Es kommen auch andere „Nährstoffe“ auf den Tisch: Zuwendung, Freude, Genuss, Geborgenheit und Zusammenhalt. Häufig gibt es aber auch Konflikte und Stress. Was macht eine gute Mahlzeit in Gemeinschaft aus?

Anita Berger
Mutter und Kirchenpflegerin, Staufen (AG)
Die Möglichkeiten, als Familie gemeinsam zu essen, sind durch schulische, berufliche und gesellschaftliche Termine oft begrenzt. Mir ist eine selbst gekochte Mahlzeit mit direktem Kontakt zu den Kindern wichtig, und so habe ich sie immer gegenüber allen anderen Verpflichtungen verteidigt. Seit einiger Zeit sind die beiden Mädchen jedoch über Mittag nicht mehr zu Hause, und auch mein Mann kann oft nicht zum Essen kommen. Mir bleiben die Mittagessen mit meinem Jüngsten und manchmal mit seinem Freund.
Weiterhin glaube ich daran, dass besonders für jüngere Kinder eine Unterbrechung am Tag hilfreich ist, aus dem Druck und Trott der Anforderungen auszubrechen und das Gefühl von Geborgenheit zu genießen. Gemeinsame Zeit am Tisch ermöglicht eine besondere Wahrnehmung des anderen – der Schwingungen, die mal leise, mal deutlich spürbar sind. Es ist wichtig abzuladen, Emotionen loszuwerden und sich getragen zu wissen.
So werde ich wohl dem Abendessen eine neue Bedeutung geben: Treffpunkt am Familientisch, wo Themen und Stimmungen zur Sprache kommen dürfen, wertschätzend und verständnisvoll, aber auch ehrlich und direkt. Hier lernt man, sich zu artikulieren, zu debattieren und zu verhandeln – eine Schule fürs Leben.

Männer-Fokolargemeinschaft
Innsbruck
Wir leben zu dritt in unserer Fokolar-Gemeinschaft: ein Berufstätiger und zwei Rentner. Daher finden gemeinsame Mahlzeiten vor allem am Abend statt, an arbeitsfreien Tagen auch am Mittag.
Wir schätzen diese Momente und „schützen“ sie: keine Telefonate, wenn wir bei Tisch sind; Arbeitsthemen nur, wenn sie vorher vereinbart sind; keine Eile und Zeitdruck. Unerwartete Gäste sind willkommen.
Es sind für uns Gelegenheiten, einander am Gelebten des Tages teilhaben zu lassen, das aktuelle Geschehen zu kommentieren und über freudige und schmerzliche Ereignisse zu informieren. Es sind vor allem Momente, wo wir uns in die Augen schauen, wahrnehmen, wie jeder „drauf ist“, und den Beitrag eines jeden zu einem gelungenen Miteinander erkennen können.
Gemeinsame Mahlzeiten leben von guten und sorgfältig zubereiten Gerichten; es darf auch einmal etwas Neues, Ausgefallenes, „Exotisches“ sein. Und nicht zu vergessen: „Die Augen essen mit!“ Lob und Wertschätzung für den Koch sollten nicht zu kurz kommen.
Gelegentlich gibt es beim gemeinsamen Essen lebhafte Gespräche über ökologische Aspekte, über Kosten, Fleischverzicht und gesunde Ernährung. Dann treten ganz verschiedene Erfahrungen und Meinungen in einen Wettstreit.
Mahlzeit! En Guete!

Cornelia Iken
Führungskraft im Krankenhaus, Berlin
Essen, das heißt in meinem Alltag häufig: im Büro mal eben eine Kleinigkeit am Computer zu mir zu nehmen, während ich aufgelaufene E-Mails bearbeite; oder abends im Sessel vor dem Fernseher nebenbei etwas zu essen – müde nach einem langen Arbeitstag.
Ich lebe alleine. Da ist Essen in Gemeinschaft eigentlich immer etwas Außergewöhnliches. Beim Besuch von Freunden, für die ich gekocht und den Tisch gedeckt habe. Beim Essengehen mit Freunden. Oder, ganz besonders, wenn ich meinen Bruder besuche; in ein Restaurant zu gehen ist ein Highlight für ihn, der im Pflegeheim sonst häufig das Gleiche zu essen bekommt. Und natürlich die Freude, von anderen bekocht zu werden, ohne dass ich mir darüber Gedanken machen muss, was auf den Tisch kommt.
Essen in Gemeinschaft ist immer ein kleines Geschenk, das andere mir oder ich ihnen machen kann. Oft beginnt es schon damit, mir zu überlegen, über welches Gericht sich der andere freuen könnte.
In diesem Zusammenhang bedeutet Essen in Gemeinschaft häufig auch, gute Gespräche zu führen. Es sind Momente der Beziehung, kleine Auszeiten, die aus dem Alltag hervorstechen und die ich bewusst und gerne pflege.


Suchen Sie auch nach Antworten – rund um Beziehungen?
Dann schreiben Sie uns: E-Mail oder reichen Sie Ihre Frage ein bei www.facebook.com/NeueStadt


Hat Ihnen der Artikel gefallen? Möchten Sie mehr von uns lesen? Dann können Sie hier das Magazin NEUE STADT abonnieren oder ein kostenloses Probe-Heft anfordern.
Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Juli/August 2023.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.